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Meinung: Kümmern sich die Parteien zu sehr um sich selbst?

„Alle gewinnen und alle verlieren“ vom 27. März 2006 Es ist fünf vor zwölf.

„Alle gewinnen und alle verlieren“

vom 27. März 2006

Es ist fünf vor zwölf. Mit der Wahlbeteiligung der Bürger in Sachsen-Anhalt am Sonntag ist (hoffentlich) ein Tiefpunkt erreicht. Deutlich unter 50 Prozent! Das zeigt doch deutlich, was die Bürger der Politik noch zutrauen. Nun könnte man einfach sagen, die Demokratie, die Bedeutung des Wahlrechts (das für mich eine Pflicht ist) ist bei den Menschen in Sachsen-Anhalt nach den Jahrzehnten mit Wahlergebnissen über 90 Prozent für die SED in Zeiten der DDR eben noch nicht so tief verwurzelt. Oder auch, die große Koalition mache die Leute politikmüde, stärke die Ränder. Diese Ausrede taugt nach den wenigen Monaten, die Frau Merkel im Amt ist, aber wirklich nicht.

Ich bin davon überzeugt, dass viele von uns Bürgern nur politikmüde sind, weil Sie zutiefst verunsichert sind, was ihre Zukunft, die Zukunft unseres Landes angeht. Sie glauben nicht mehr daran, dass sich noch alles zum Guten wendet, dass unsere Politiker, egal welcher Partei sie auch angehören, unseren Sozialstaat noch retten, die Arbeitslosigkeit wirksam bekämpfen können. Dieses Gefühl von „Ist doch sowieso egal, wer regiert, da ändert sich nichts“ ist es, das einen großen Teil unserer Bevölkerung davon abhält, sein Wahlrecht wahrzunehmen. Unsere Politiker – und zwar aller Parteien – sind nach dem Alarmsignal aus Sachsen-Anhalt aufgefordert, sich nun endlich weniger mit ihren eigenen (Partei-)Interessen zu beschäftigen und mehr mit der Lösung der Probleme Deutschlands. Den Bürgern müssen die Maßnahmen, die ergriffen werden, um unser Land für die Zukunft zu rüsten, wieder besser erklärt werden. Und die nötigen Einschnitte müssen gerecht auf alle – ohne Ausnahme – verteilt werden. Ansonsten sehe ich unsere Demokratie in ernster Gefahr!

Georg Schwarz, Berlin-Lankwitz

Sehr geehrter Herr Schwarz,

auch mir macht die geringe Wahlbeteiligung große Sorgen. Nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern bei allen drei Landtagswahlen wurde ein Minusrekord aufgestellt. Unsere Demokratie sehe ich deshalb zwar nicht in Gefahr. Aber auch ich bin der Ansicht, dass wir alle – die Politik, die Medien, die Gesellschaft insgesamt – darüber nachdenken sollten, was immer mehr Bürger dazu bringt, sich abzuwenden.

Die von Ihnen erwähnte Unsicherheit über die Zukunft ist ein Grund. Gerade Bürger, die Lösungen vom Staat erwarten, fühlen sich in Zeiten der Rekordarbeitslosigkeit enttäuscht. Deshalb dürfen wir in der Politik nicht so tun, als könnten wir Probleme lösen, die der Staat nicht lösen kann. (Manchmal hatte man ja in den letzten Wochen den Eindruck, der deutsche Bundestag werde auch noch die Mannschaftsaufstellung für die WM beschließen wollen.) Der Staat schafft keine Arbeitsplätze. Er kann aber mit richtigen Rahmenbedingungen dafür sorgen, dass Unternehmen investieren. Hier tut die schwarz-rote Bundesregierung viel zu wenig. Sie erhöht stattdessen die Mehrwertsteuer, was den Konsum abwürgt, Arbeitsplätze kostet, Unternehmen ins Ausland und Bürger in die Schwarzarbeit drängt. Deshalb ist die FDP gegen diese schädliche Mehrwertsteuererhöhung. Die beste Sozialpolitik ist eine wachstumsfreundliche Politik, die dafür sorgt, dass, wer Arbeit sucht, auch Arbeit findet.

In falscher Sicherheit wiegt den Bürger auch, wer darauf beharrt, die Rente sei sicher. Ohne ehrliche Strukturreformen zahlen die Jüngeren immer mehr, ohne dass die Älteren dafür mehr Sicherheit bei der Altersvorsorge bekommen.

Seit Jahren wird über die Abgeordnetendiäten gestritten. Wir Liberale sind dafür, dass Politiker ordentlich bezahlt werden. Aber für ihre Altersvorsorge sollten sie selbst sorgen – wie jeder Freiberufler auch. Die Höhe der Diäten sollte eine unabhängige Kommission beim Bundespräsidenten festlegen. Dann hört endlich der Vorwurf der Selbstbedienung auf, der zur Politikverdrossenheit beiträgt. Ich glaube, dass nur noch Taten Vertrauen schaffen können – Worte kaum noch. Bei den Taten sehe ich aber bei der Bundesregierung wenig, dazu noch oft das Falsche. Wenn die Roten immer schwärzer werden und die Schwarzen zunehmend erröten, wenn also eine sozialdemokratische Regierung unter einer christdemokratischen Kanzlerin im Amt ist, dann nimmt nicht nur die Unterscheidbarkeit der so genannten Volksparteien ab. Dann wendet sich der Bürger ab. Wer Macht hat, muss sich auf die Finger sehen lassen. Das gilt vor allem in der Politik. Gerade in Zeiten einer so genannten großen Koalition ist die demokratische Kontrolle entscheidend. Diese demokratische Kontrolle der schwarz-roten Bundesregierung ist durch die Landtagswahlen schwieriger geworden. Schwarz-Rot muss aber kontrolliert werden. Wir Liberale tun dies im Bundesrat und im Bundestag. Sie, die Bürger, tun es, indem Sie die Berliner Politik wachsam und kritisch verfolgen. Und indem Sie wählen gehen. Wer nicht wählt, stärkt nur jene, die er bestimmt nicht an der Macht sehen will.

Mit herzlichen Grüßen

— Dr. Guido Westerwelle,

Vorsitzender der FDP

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