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Meinung: Lage im Kosovo darf nicht beschönigt werden

„Das Stiefkind soll mündig werden“ vom 14. Oktober 2005 Die Verfasserin sollte doch etwas vorsichtiger sein, wenn sie sich die Ansichten einer Konfliktpartei zu Eigen macht.

„Das Stiefkind soll mündig werden“

vom 14. Oktober 2005

Die Verfasserin sollte doch etwas vorsichtiger sein, wenn sie sich die Ansichten einer Konfliktpartei zu Eigen macht. Der Verfasserin empfehle ich den vielfach preisgekrönten britischen Dokumentarfilm „The Valley“ aus dem Jahr 1998, damit sie etwas mehr über den Hintergrund des Konflikts erfährt.

Die Formulierung, „interethnische Kooperation“ lasse „noch zu wünschen übrig“, ist eine beispiellose Beschönigung der Lage vor Ort. Weiß die Verfasserin eigentlich, dass seit 1999 im Kosovo alle Minderheiten, nicht nur ethnische Serben, sondern auch die am Konflikt unbeteiligten (muslimischen) Bosniaken, (katholischen) Kroaten und Roma nur im Schatten von NATO-Panzern und hinter Stacheldraht leben können? Dass jeder, der in der Hauptstadt Pristina öffentlich Serbokroatisch spricht, selbst ein gebrechlicher alter Mensch, noch heute mit offenen Anfeindungen bis hin zu physischer Gewalt rechnen muss? An den gewalttätigen Ausschreitungen gegen Minderheiten im März 2004 nahmen Zehn-, wenn nicht Hunderttausende teil. Auf eine Verurteilung in den staatlichen Medien wartete man vergeblich; die klaren Worte der Regierung Albaniens fielen in den Nachrichten sogar der Zensur zum Opfer. Ist eine solche Region wirklich reif für eine Unabhängigkeit?

Mein (kosovo-albanischer) Vermieter in Pristina, einfacher Elektriker in einem Staatsbetrieb, schwärmt noch heute davon, wie ihm auf dem Höhepunkt des Konflikts, im Winter 1998/99, in Belgrad ein mehrfacher Herz-Bypass gelegt wurde – auf Staatskosten. Passt das in das übliche Schwarzweißbild?

Dr. Ekkehard Schulze, UN-Richter am Supreme Court of Kosovo 2003 – 2005, Falkensee

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