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Meinung: Mein Vater war der verratene Kommilitone

Betrifft: „Verschneiter Aufenthalt" im Tagesspiegel vom 19. März 2003 Fast beiläufig am Ende ihres ausführlichen Artikels über den ehemaligen Schriftstellerpräsidenten der DDR Hermann Kant erwähnte die Autorin, dass Kant einen Kommilitonen verraten habe und dieser „aufgrund seines Verrats zur Zwangsarbeit verschickt worden sein soll“.

Betrifft: „Verschneiter Aufenthalt" im Tagesspiegel vom 19. März 2003

Fast beiläufig am Ende ihres ausführlichen Artikels über den ehemaligen Schriftstellerpräsidenten der DDR Hermann Kant erwähnte die Autorin, dass Kant einen Kommilitonen verraten habe und dieser „aufgrund seines Verrats zur Zwangsarbeit verschickt worden sein soll“. Richtig: Dieser Kommilitone ist mein Vater Johannes Krikowski, er wurde nicht „verschickt“, sondern ins berüchtigte Straflager Workuta deportiert.

Der Reihe nach: Mein Vater studierte von 1949 bis 1951 in derselben Klasse wie Hermann Kant an der Arbeiter und Bauernfakultät in Greifswald. In der Nacht vom 1. November 1951 wurde mein Vater von der Staatssicherheit der ehemaligen DDR verhaftet und Tage später an den NKWD überstellt. Die Untersuchungshaft in Schwerin war durch Einzelhaft, Folter und permanente nächtliche Verhöre gekennzeichnet. Die NKWD-Schergen verhörten meinen Vater von November 1951 bis März 1952 und ein anschließendes sowjetisches Militärtribunal verurteilte meinen Vater am 9. März 1952 zu 25 Jahren Haft nach dem „Gummi“-Paragraphen 58 des Strafgesetzbuches der Sowjetunion.

Mein Vater wurde in das berüchtigte Zwangsarbeitslager Workuta deportiert und Dank einer Amnestie nach Stalins Tod und Intervention Konrad Adenauers im Dezember 1955 entlassen. Meine Großeltern wussten über drei Jahre nicht, wo sich ihr Sohn befand – er war spurlos verschwunden. Auf Nachfragen meines rat- und fassungslosen Großvaters bei der Universitätsleitung in Greifswald, wo sein Sohn sei, habe Kant höhnisch geantwortet, in der DDR verschwinde keiner.

Mein Vater hat Workuta überlebt, seelisch und körperlich schwer gezeichnet. Heute lebt er als Rentner in Düsseldorf. Letztes Jahr erhielt er eine Rehabilitierungsurkunde aus Moskau. Eine späte Genugtuung.

Natürlich würde ich niemals behaupten, Hermann Kant sei ein „IM“ gewesen – wie auch? Mein Vater hat weder eine schriftliche Anklageschrift noch einen Haftbeschluss zu Gesicht bekommen? Nach 1990 konnten wir Dank der Gauckbehörde Einsicht in die Akte meines Vaters nehmen, und sein Haftbeschluss datiert vom 16. November 1951 wurde von keinem geringeren unterzeichnet als Erich Mielke.

Wer die wahre Geschichte des Hermann Kant erfahren möchte, dem sei die Lektüre von Karl Corino „Die Akte Kant“ (IM "Martin") rororo-aktuell, 1995 empfohlen.

Stefan Krikowski, Berlin-Schöneberg

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