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Meinung: Muss Köhler sein Veto gegen die Neuwahlpläne einlegen?

„Offenes Geheimnis“ vom 13. Juli 2005 Der Bundespräsident sollte in dieser Frage ein eindeutiges Signal setzen, der PolitFarce ein Ende machen und den Bundestag nicht auflösen.

„Offenes Geheimnis“ vom 13. Juli 2005

Der Bundespräsident sollte in dieser Frage ein eindeutiges Signal setzen, der PolitFarce ein Ende machen und den Bundestag nicht auflösen. Es wäre ein starkes Signal der Überparteilichkeit und Unabhängigkeit des Präsidenten, wenn er Regierung und Opposition gleichermaßen an ihre Verantwortung für Deutschland erinnert und die sich schon heiß laufenden Wahlkampf-Zentralen zurückpfeift. Horst Köhler könnte damit einer weiteren Beschädigung unserer Verfassung entgegenwirken. Im Falle einer erneuten Parlamentsauflösung wäre mit Artikel 68 GG quasi ein Selbstauflösungsrecht des Parlaments etabliert, dem sich die Amtsnachfolger Köhlers im Schloss Bellevue wohl kaum mehr entgegenstellen könnten.

Der Bundestag und somit auch die Regierung sind aber auf vier Jahre gewählt – und zwar nicht nur, um bei schönem Wetter Politik zu machen, sondern auch um in schwierigen politischen Lagen zu regieren und Entscheidungen zum Wohle unseres Landes zu treffen. Was ist das eigentlich für ein Signal, das der Bundeskanzler jetzt an das deutsche Volk sendet? Einerseits versucht er immer wieder, die Bürger angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage und der unbequemen Reformen zu Mut, Zuversicht und zum Durchhalten zu bewegen, andererseits will er aber gleich von Bord gehen, wenn das Regierungsschiff mal in schwierigeres politisches Fahrwasser gerät. Das Grundgesetz ist jedoch kein Selbstbedienungsladen für amtsmüde Kanzler, die sich aus der Verantwortung stehlen und sich gleichzeitig einen imageschädigenden Abgang ersparen wollen. Und unsere Verfassung ist auch nicht dazu da, Regierungsparteien und ihren Abgeordneten unangenehme politische Entscheidungen oder Gewissenskonflikte zu ersparen.

Wenn der Kanzler also keine Lust mehr hat, dann soll er dies offen sagen und zurücktreten. Oder aber er soll bis zum Herbst 2006 weiterregieren und sich dann dem regulären Wählervotum stellen.

Oliver Passarge, Berlin-Schöneberg

Sehr geehrter Herr Passarge,

offensichtlich hat der Kanzler durchaus Lust, weiterzuregieren, will er doch Kanzlerkandidat sein, also die Wahl gewinnen, und hat Müntefering ihm zu diesem Zweck auch das Vertrauen der Fraktion versichert. Ebenso offensichtlich sieht er aber unter den gegebenen Umständen keine sinnvolle Möglichkeit zu regieren. Ein Rücktritt würde die Probleme nicht lösen, da es in diesem Bundestag bei realistischer Betrachtung eine andere Mehrheit als für einen SPD-Kandidaten nicht gibt. Daher haben die Oppositionsfraktionen auch nicht auf einen Rücktritt gedrängt.

Ein Auflösungsrecht des Bundestages würde der Bundespräsident bei einer positiven Entscheidung nicht etablieren. Ein solches müsste, um die Opposition nicht der Willkür auszuliefern, mindestens eine Zwei-Drittel-Mehrheit vorsehen und wäre von jeder präsidentiellen Entscheidung frei. Der Bundespräsident hat bei seiner Entscheidung über ein Auflösungsbegehren des Kanzlers den Schutz der Opposition mitzubedenken. Aus guten Gründen, möchte sie aber in diesem Falle keinen Schutz.

Von einer Polit-Farce kann man nur bei gehöriger Naivität sprechen. Nachdem das Bundesverfassungsgericht den weitaus zweifelhafteren Fall Kohl hat durchgehen lassen, ist der offen formulierte Art. 68 GG, der nicht verlangt, dem Kanzler das Misstrauen auszusprechen, freier zu interpretieren, als das die Entstehungsgeschichte nahe legt. Und von Weimar sind wir nicht nur zeitlich, sondern auch mental weit entfernt.

Es geht auch nicht um Regieren in unschönen Zeiten. Die gesamte politische Klasse steht vor der schwierigen Frage, wie man eine Wahl gewinnen kann, wenn man nicht mehr, wie in der ersten Phase der Bundesrepublik Zuwächse verteilen, oder wie in der zweiten zu demselben Zweck Schulden machen kann, sondern wenn man vielen Wählern vieles zumuten muss. Und die Zeit drängt; ein Jahr die Regierungsgeschäfte nur zu verwalten, wäre ein verlorenes Jahr.

Es ist durchaus der Überlegung wert, ob man die notwendigen gravierenden Einschnitte in einem parlamentarischen Regierungssystem auf die Dauer auf der Basis einer sehr knappen Mehrheit durchsetzen kann. Der Kanzler verneint das offensichtlich.

Ist es so verwerflich, den Souverän, also uns, entscheiden zu lassen, wem man die bessere Lösungskompetenz zutraut? Ein auch nur knapper Sieg der jetzigen Koalition würde eine Absicherung durch den oppositionsdominierten Bundesrat erfahren. Ein Ergebnis, dass eine große Koalition erzwänge, brächte die notwendige parlamentarische Basis. Ein Sieg der jetzigen Koalition würde dank des plebiszitären Gewichts jedenfalls für einige Zeit vermutlich über den Bundesrat zu einer Art unerklärten großen Koalition führen. Sicher ist freilich nichts, chancenlos aber auch nicht.

Mit freundlichen Grüßen

— Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Meyer,

Humboldt-Universität

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