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Meinung: PARADIGMENWECHSEL IN DER LANDESVERTEIDIGUNG Wird die Bundeswehr zur Polizei?

Unser Leser Michael Deike kritisiert, dass der Begriff Verteidigung immer mehr aufgeweicht wird. Verteidigungsminister Peter Struck antwortet.

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Betrifft: „Neu Befehle für die Bundeswehr“ vom 6. Dezember 2002

Ein besonders auffälliges Beispiel des Missbrauchs von Worten liefert dieser Tage der Bundesverteidigungsminister Peter Struck mit seinem Paradigmenwechsel bei der Auslegung der „Landesverteidigung“: Dieser Begriff hat in der Vergangenheit eine erstaunliche Aufweichung erfahren, indem er über „flexible response“ zur „Vorneverteidigung" bis hin zum „Erstschlagsrecht" gestreckt wurde. Die von Struck bemühte „Verteidigung weit vor unseren Grenzen“, insbesondere auch zur „Terrorbekämpfung“ löst nunmehr auch die letzte stoffliche Fassbarkeit des einstmaligen terminus technicus auf und lässt ihn in purer Beliebigkeit verkommen. Die Bundeswehr ist danach Grenzschutz, ist Verfassungsschutz, ist Polizei.

Doch die Denaturierung fällt dem Minister gleich selbst auf die Füße, denn mit dem Eingeständnis, weder die bisherigen soldatischen Ausbildungsrichtungen noch Waffensysteme zur Erfüllung der neuen Aufgaben verwenden zu können, beweist er das Gegenteil seiner eigenen Worte.Michael Deike, BerlinFrohnau

Sehr geehrter Herr Deike, wir wissen, dass sich das sicherheitspolitische Umfeld in den vergangenen Jahren grundlegend geändert hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Deutschland gegen anrückende Panzerarmeen an seinen Grenzen verteidigen muss, tendiert auf absehbare Zeit gegen Null. Deshalb muss sich die Bundeswehr in ihrer Struktur und Ausrüstung noch konsequenter auf die tatsächlichen Einsatzaufgaben ausrichten. Diese liegen seit Jahren vorrangig in der internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung. Mehr als 10 000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sind gegenwärtig an internationalen Einsätzen beteiligt. Denn in der heutigen Welt der grenzüberschreitenden Entwicklungen und Risiken gibt es keine nationalen Friedensoasen mehr. Unsere Sicherheit wird immer mehr durch Entwicklungen gefährdet, die weit vor unseren Grenzen - auch außerhalb Europas - stattfinden. Wie wäre es mit der Stabilität in Europa und unserer Sicherheit bestellt, wenn wir uns nicht seit Jahren zusammen mit Verbündeten und Partnern - auch militärisch - in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Mazedonien engagiert hätten? Wie sicher wäre Deutschland, wenn wir nicht mit unseren Verbündeten und Partnern den internationalen Terrorismus, der keine Grenzen kennt und auf nichts und niemanden Rücksicht nimmt, dort bekämpfen würden, wo er zu Hause ist? Wäre unsere Sicherheit größer, wenn die Bundeswehr sich nicht im Rahmen einer vorbeugend orientierten Außen- und Sicherheitspolitik mit Erfolg am gesellschaftlichen und politischen Wiederaufbau unter demokratischen Vorzeichen auf dem Balkan und in Afghanistan beteiligen würde und dort hilft, das dringend benötigte sichere Umfeld zu schaffen?

Die Bundeswehr wird auch künftig zur Landesverteidigung in der Lage sein. Sie muss aber vor allem die knappen Ressourcen dafür einsetzen, dass sie optimal für die heutzutage wahrscheinlichsten Einsätze im Rahmen der internationalen Friedenssicherung ausgestattet ist. Ein zeitgemäßes Verständnis von Sicherheit und Verteidigung hat zum Ziel, Bedrohungen und Krisen durch gemeinsames Handeln auf Distanz zu halten. Es geht um unseren Beitrag zur multilateralen Sicherheitsvorsorge im Rahmen der Vereinten Nationen, der NATO und der Europäischen Union. Ich bin fest entschlossen, die Bundeswehr durch weiterführende Reformschritte und durch die richtigen Prioritätensetzungen in die Lage zu versetzen, das zu leisten, was der Verantwortung Deutschlands, unseren Möglichkeiten und unseren Sicherheitsinteressen entspricht.

Peter Struck, Verteidigungsminister

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