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Meinung: Schleichende Entsolidarisierung

Zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Schuldenhilfe für Berlin Ich bekomme eine kalte Wut, wenn ich die nach dem die Klage Berlins abweisenden Bundesverfassungsgerichts-Urteil in die Kameras blickenden Grinsemänner Stoiber, Koch, Oettinger und Wulff sehe, die so tun, als ob der relative Reichtum ihrer Länder auf ihrem persönlichen Wirken beruhe und die Armut Berlins auf dem Versagen der Mitglieder des Berliner Senats, der zudem rot-rot ist und schon deshalb nichts tauge. Unerträglich ist die selbstgerechte Polemik des Herrn Oettinger, der davon spricht, dass das Netz bundesstaatlicher Finanzsolidarität „keine Hängematte“ sei, mit der sich „bei anderen nicht schadlos halten könne, wer ohne echte Not Schulden gemacht“ habe.

Zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Schuldenhilfe für Berlin

Ich bekomme eine kalte Wut, wenn ich die nach dem die Klage Berlins abweisenden Bundesverfassungsgerichts-Urteil in die Kameras blickenden Grinsemänner Stoiber, Koch, Oettinger und Wulff sehe, die so tun, als ob der relative Reichtum ihrer Länder auf ihrem persönlichen Wirken beruhe und die Armut Berlins auf dem Versagen der Mitglieder des Berliner Senats, der zudem rot-rot ist und schon deshalb nichts tauge. Unerträglich ist die selbstgerechte Polemik des Herrn Oettinger, der davon spricht, dass das Netz bundesstaatlicher Finanzsolidarität „keine Hängematte“ sei, mit der sich „bei anderen nicht schadlos halten könne, wer ohne echte Not Schulden gemacht“ habe. Auch hier wieder zeigt sich eine schleichende Entsolidarisierung in Deutschland aufgrund machtpolitischen Egoismus von führenden Politikern in „reicheren“ Ländern, die in erster Linie um ihre Wiederwahl bemüht sind und sich daher sogar zu Totengräbern deutscher Einheit hergeben, wie wir es bereits bei der sogenannten Föderalismusreform (unter Führung der erwähnten Ministerpräsidenten) erlebt haben, mit der wir teilweise in Vorbismarck’sche Zeiten zurückgefallen sind und die deshalb den Titel „Reform“ nicht im entferntesten verdient.

Der Berliner Finanzsenator Sarrazin hat wieder einmal recht, wenn er nüchtern feststellt: „Uns hilft keiner mehr, wir müssen uns nun selber helfen.“ Daher wünsche ich mir: Schließung eines Zoos, einer Sternwarte, einer Oper, Verkauf von landeseigenen Wohnungen, Behalt von Kitagebühren, Einführung von Studiengebühren. Und ich fordere: Reduzierung von Studienplätzen in der Weise, dass zwar alle Berliner Landeskinder unter besseren Bedingungen als bisher in Berlin studieren können, aber erforderlichenfalls Bewerber/innen insbesondere aus Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen abgewiesen werden müssen. Sollen doch diese Länder ihre Unis auf ihre Kosten vergrößern, wenn ihre Landeskinder studieren wollen, statt auf Berliner Kosten ausgebildet zu werden. Warum sollten die Berliner dies auch in Zukunft finanzieren und zugleich noch als „Schuldenmacher“ verhöhnt werden?

Prof. Dr. Michael Matzke,

Berlin-Spandau

Wenn ich Ihren Vergleich der Hochschulsituation Hamburg-Berlin richtig verstehe, entnehme ich daraus, dass Berlin zu mehr als der Hälfte Studierende aus anderen Bundesländern ausbildet – von dem höheren Anteil an Auslandsstudenten einmal abgesehen. Von denen machen auch mehr einen Abschluss als in Hamburg. Zudem liegt die Quote der Einwerbung von Drittmitteln weitaus höher als in Hamburg, was ja heute gemeinhin ein als für Universitäten – neben anderen – wichtiges Indiz für deren Leistungsfähigkeit gilt.

Sind Berliner Unis also so schlecht oder warum zieht es so viele Studenten hierher? Welche Zahlen haben wohl den Richtern in Karlsruhe vorgelegen? Mir drängt sich dabei die Frage auf, inwieweit den „Verweigerer-Ländern“ daran gelegen sein kann, dass Berlin eine Hochschule schließt, oder in welchem Umfang sie wenigstens in diesem Bereich geneigt sind, einen Ausgleich zu schaffen. Dass der Bund mehr für die von der Hauptstadt übernommenen Aufgaben, die mit der Stadt Berlin nichts zu tun haben, zahlen muss, müsste nicht nur angesichts dieses Urteils erneut hinterfragt werden.

Christian Funke, Berlin-Wilmersdorf

Man braucht kein Freund von Wowereit zu sein, um den Unsinn des Urteils des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Bundeshilfe für Berlin zu erkennen. Hier hat sich unser hoch geheiligtes Bundesverfassungsgericht nicht zum ersten Mal „geoutet“. Nicht alles kann „nach den Gesetzen“ richtig entschieden werden, besonders dann nicht, wenn es für den einmaligen Fall des wiedervereinigten Bundeslandes Berlin gar keinen passenden Absatz in der Verfassung gibt. Dann könnten die Bundesverfassungsrichter, die gelernt haben, den Gesetzestext zu interpretieren, leicht ins Schleudern geraten. Noch dazu, wenn dieses Bundesland zur Bundeshauptstadt erhoben wurde, und das auch noch zum Leidwesen Bonns, wo doch die meisten der Bundesbeamten so gern weiterhin dort gelebt hätten.

Wenn man die Aussagen des Bundesverfassungsrichters Hassemer liest und die noch unerträglicheren Kommentare des hessischen Ministerpräsidenten Koch, dann muss man an diesen Leuten ernsthaft zweifeln, da sie ganz offensichtlich die speziellen Probleme Berlins im Vergleich zu den anderen Stadtstaaten der Bundesrepublik nicht erkennen. Man darf Berlin im Jahre 2006 nicht mit Hamburg und Bremen vergleichen, weil diese mehr als 40 Jahre lang in der alten Bundesrepublik Deutschland gedeihen konnten, während Ostberlin im Kommunismus der DDR zurückbleiben musste. Und dennoch weist Hamburg circa zwei Drittel der Schulden Berlins pro Einwohner auf, eine erbärmliche Bilanz für das reiche Bundesland mit seiner bevorzugten Handelslage, seinen Reedereien und Industrieansiedlungen. Und schon gar nicht kann man Berlin mit Flächenstaaten wie Bayern, Baden-Württemberg und Hessen vergleichen, weil diese Länder in den langen Jahrzehnten der Teilung Deutschlands und der Berliner Mauer die größten Nutznießer der politisch verursachten Kaltstellung Berlins waren. Manch innovativer Geist und viele Firmen verließen in dieser langen Periode die Stadt, um sich in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen oder sonst wo in der alten Bundesrepublik anzusiedeln, zum großen Nutzen dieser Regionen. Ganz zu schweigen von den verpassten Neuansiedlungen internationaler Konzerne in der Region Berlin.

Man wird den Eindruck nicht los, dass hier dem Bundesverfassungsgericht eine politische Rolle zukommt, der es gar nicht gewachsen sein kann, insbesondere wenn man das Parteiengerangel bei der Berufung mancher Bundesrichter ins Kalkül zieht. Urteil des Bundesverfassungsgerichts hin oder her: Hier hat die Politik, vertreten durch die vom Volk gewählten Vertreter, zu entscheiden. Und wenn diese die ganz speziellen Probleme Berlins nicht erkennen wollen, dann sollte das Volk bei künftigen Wahlen eben anders entscheiden. Es ist auch an der Zeit, dass manch Berliner Politiker es lernt, die nötige Aufklärung der Nation mit Erfolg zu betreiben, statt sich auf Partys herumzutreiben.

Prof. Dr. Dr. hc. Günter Kaindl,

Freie Universität Berlin

Berlin wird auch diese Situation meistern. Das Urteil von Karlsruhe ist im Grunde genommen eine Neuauflage der ganzen Kampagne gegen den Regierungsumzug von Bonn nach Berlin.

J. F. Wilhelm Hörnicke,

Berlin-Tiergarten

Die Ablehnung der finanziellen Hilfe für Berlin ist außerordentlich zu bedauern. Ganz sicher steht der Senat nun vor schwierigen Entscheidungen die Zukunft der Stadt betreffend. Aber eine Frage bleibt – und das seit vielen Jahren : Nutzt Berlin auch alle Einnahmequellen. Ich möchte nicht eine Kriminalisierung aller Einwohner erreichen, aber ein großer Schlendrian hat eingesetzt, da sich niemand – trotz gesetzlicher Vorschriften – um folgende Verstöße kümmert: Hundekot, Beleuchtung an Fahrrädern bei Dunkelheit, Schneefegepflicht, Anschnallpflicht, Verbot ohne Freisprecheinrichtung im Auto zu telefonieren, Geschwindigkeit in verkehrsberuhigten Zonen usw. Begründung ist immer der Personalmangel und die Bürokratie. Dann muss eben hier angesetzt werden. Bin gespannt wie es weitergeht.

Lothar Otterstätter, Berlin-Mariendorf

Das Urteil mag auf den ersten Blick katastrophal für Berlin sein, aber es ist eine berechtigte schallende Ohrfeige für alle Träumer und Fantasten in der Berliner Politik. Wer zu spät anfängt zu sparen, den bestraft offensichtlich das Bundesverfassungsgericht. Dieses Urteil sollte den Finanzsenator stärken und das wäre auch gut so für Berlin. Auf dessen Sachverstand kommt es jetzt in erheblichen Maße an. Trotz aller Sparzwänge ist Selbstmitleid fehl am Platze. Nur mit innovativen Maßnahmen kann diese Krise gemeistert werden, damit auch in Zukunft gesagt werden kann: Berlin ist zwar keine reiche Stadt, aber sie ist intelligent und auch deshalb sexy.

Michael Bannert, Berlin-Hermsdorf

Jedes intelligente Unternehmen weiß, dass Kürzungen in der Entwicklungsabteilung stets die schlechteste Option sind. Wer meint, die Produktion könnte alleine für alle Zeiten so weitermachen, täuscht sich.

Berlin ist das deutsche Forschungslabor. Hier wird experimentelle Stadt gebaut, hier entstehen Dienstleistungsideen für die Zukunft, hier erfinden sich die deutschen Kreativen neu. Kein deutsches Zeitgeistmagazin, das nicht schon neugierige Blicke wagte. Kaum ein deutscher Fernsehabend ohne Berlin als Kulisse. Wie aufregend!

In globalisierten Zeiten ist Berlin die einzige deutsche Metropole, die die Kosmopoliten der Welt - die Investoren von morgen - begeistern kann. Die kleinkarierte Replik der Karlsruher Richter auf Wowereits Nonchalance enttarnt die eigentlichen Motive für das emotionale Urteil. Die Rache der Provinz!

Jonas Olfe, Berlin - Friedenau

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