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Meinung: Sind Mindestlöhne eine gute Sache?

Zur Debatte um Mindestlöhne in Deutschland Mindestlöhne stehen im Widerspruch zum neoliberalen Credo: Der Staat soll sich aus allem heraushalten, dann wird's der Markt schon richten. Sozial sei, was Arbeitsplätze schaffe, ein Mindestlohn gefährde diese, belehrt uns eine politische Richtung.

Zur Debatte um Mindestlöhne in Deutschland

Mindestlöhne stehen im Widerspruch zum neoliberalen Credo: Der Staat soll sich aus allem heraushalten, dann wird's der Markt schon richten. Sozial sei, was Arbeitsplätze schaffe, ein Mindestlohn gefährde diese, belehrt uns eine politische Richtung.

Entstehen insgesamt tatsächlich mehr Arbeitsplätze? Post und Telekom haben Marktanteile verloren und Hunderttausende von Jobs abgebaut, die von neuen Wettbewerbern nur zum geringeren Teil und mit weit schlechterer Bezahlung/Sozialstandards ersetzt wurden. Der Kuchen wird insgesamt kaum größer, der Markt nur neu strukturiert und aufgeteilt. Kein Unternehmen schafft einen einzigen Arbeitsplatz mehr, als unbedingt nötig.

Wenn immer größere Teile der arbeitenden Bevölkerung in den Niedrigstlohnbereich abrutschen, nutzen ihnen sinkende Preise wenig. Das Bruttosozialprodukt wächst, das Volksvermögen wird jedoch immer ungleichmäßiger verteilt, wie jahrelang sinkende Realeinkommen der Arbeitnehmer bei stetig steigenden Einkünften aus Kapitalvermögen dokumentieren.

Ist etwa mit sozialer Marktwirtschaft gemeint, dass in einem der immer noch reichsten Länder der Erde immer mehr Menschen mit ehrlicher Arbeit nicht mal aus eigener Kraft einen Lebensstandard auf dem Niveau von Hartz IV fristen können, sondern dieses Niveau vom Staat gewährt werden muss?

Abschließend sei angemerkt, dass in fast allen europäischen Ländern eine Mindestlohnregelung gilt und diese dabei in ihren wirtschaftlichen Eckdaten vielfach als Vorbild für Deutschland galten.

Thomas Koch, Berlin-Spandau

Sehr geehrter Herr Koch,

das Thema Mindestlöhne ist keine Glaubensfrage. Die ökonomische Würdigung muss sich auf die politisch formulierten Ziele beziehen. Die politische Bedeutung hat das Thema in den vergangenen Monaten dadurch erhalten, dass auch im Konjunkturaufschwung die Anzahl jener Menschen angestiegen ist, die bei Erwerbstätigkeit ergänzend Arbeitslosengeld II erhalten und damit trotz eigener Arbeit in der Transferarmut sich befinden. Ob ein Mindestlohn hier adäquat ist, muss sich am konkreten Befund erweisen.

Tatsächlich erzielten im Juli 2007 rund 1,25 Millionen Arbeitslosengeld-II-Empfänger Erwerbseinkommen, während dies im Herbst 2005 für 0,95 Millionen Personen zutraf. Gerade im Aufschwung nehmen auch die Beschäftigungschancen für gering Qualifizierte zu, so dass dieser Anstieg nicht verwundert. Zugleich tritt der Transferbezug ganz überwiegend nur vorübergehend ein; lediglich rund 330 000 Personen mussten das Einkommen ganzjährig aufstocken. Dabei handelte es sich zumeist um Teilzeitbeschäftigte, bei denen – so das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung – „das Erwerbseinkommen eher die SGB-II-Leistungen ergänzt als umgekehrt“.

Gerade für die Vollzeitbeschäftigten, die im Zentrum der öffentlichen Debatte stehen, ist das Arbeitslosengeld II – wie gedacht – eine kurze Übergangs- und Auffanglösung. Allenfalls für 100 000 Menschen in voller Erwerbstätigkeit trifft zu, dass sie ganzjährig ergänzend ALG II erhalten. Nur für diese Gruppe wäre ein gesetzlicher Mindestlohn überhaupt zielgenau. Angemessen ist er freilich nicht, wenn man die Relation zu Gesamtbeschäftigung herstellt, die mit 40,4 Millionen Erwerbstätigen im Oktober 2007 den historischen Höchststand erreicht hat. Ein dominierendes Problem sind die Aufstocker eindeutig nicht.

Das Arbeitslosengeld II ist der Idee verpflichtet, auch bei geringer Qualifikation und entsprechend niedrigem Erwerbseinkommen dieses nicht auszublenden, sondern gegebenenfalls zu ergänzen. Viele Leserbriefe würden wohl nicht geschrieben, wenn wir den betreffenden Menschen den Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrten und sie gänzlich über Transfers alimentierten. Das hätte mit sozialer Marktwirtschaft aber wenig zu tun. Der Hinweis auf Post und Telekommunikation ändert den Befund nicht, denn hier geht es um die Öffnung ehemaliger Staatsmonopole für den freien Wettbewerb. Noch niemand hat über die gesunkenen Telefontarife geklagt. Fallen infolge der Privatisierung und Marktöffnung Arbeitsplätze weg, dann bedeutet dies nur, dass die nicht über Marktpreise zu rechtfertigen sind, sondern nur über Zwangsabgaben zulasten der Konsumenten. Strukturbereinigungen dieser Art sind unvermeidlich. Wichtig ist nur, dass der Arbeitsmarkt insgesamt hinreichend flexibel ist, um an anderer Stelle neue Jobs zu offerieren.

Insofern löst sich das skandalisierte Problem weitgehend auf. Der Hinweis auf andere Länder trägt ebenso nicht. Denn wollten diejenigen, die darauf verweisen, auch den Kündigungsschutz nach britischem Vorbild? Wohl kaum. Also: Halten wir uns an die Fakten, nicht an Vorurteile.

Mit freundlichen Grüßen

— Prof. Dr. Michael Hüther,

Direktor und Mitglied des Präsidiums

des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln

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