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Meinung: SPD UND REFORMEN Was gibt es da zu reden?

Unser Leser Alexander Gruber glaubt, dass das Austauschen von Politikern nicht reicht. Kommunikationsprofi Hans Bellstedt widerspricht: Auf die Sprache kommt es an

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Zu: „Die SPD kommt nicht zur Ruhe“ vom 9. Februar 2004

Es handelt sich hier nicht um ein Kommunikationsproblem. Es ist auf die Dauer für die Masse der SPD-Mitglieder nicht nachvollziehbar, dass z.B. der Spitzensteuersatz von von 53 Prozent 1998 auf 45 Prozent 2003 gesenkt wurde, während die einfache Bevölkerung diese „Reformen“ bezahlt. Hier gibt es nichts mehr zu kommunizieren. Jeder halbwegs intelligente Genosse begreift, welches Spiel hier gespielt wird und zieht mit einem möglichen Parteiaustritt die Konsequenzen. Die Basis wird auf Dauer diese Enteignung des Volkes nicht hinnehmen. Daran ändert auch dieser oberflächliche Personalwechsel nichts, da Müntefering zu sehr der „neuen Zeit“ verfallen ist. Es gibt nur eine Lösung: Eine andere Politik mit einem anderen Bundeskanzler!

Da die Bundesregierung hauptsächlich die Politik der Union ausführt und Angela Merkel das Land als „Schattenkanzlerin“ von der Opposition aus regiert und die Bundesregierung vor sich her treibt, gibt es aber keinen Grund mehr, die rot gefärbte Kopie der Union zu wählen. Dies hat die Bevölkerung bei den letzten Wahlen erkannt. Allerdings hat diese Tatsache die Bundesregierung keineswegs in ihrem Bemühen gebremst, „das Soziale neu zu denken“. Ich glaube, Gerhard Schröder ist der beste Kanzler, den die Union je hatte!

Alexander Gruber, Pentling

Lieber Alexander Gruber,

ohne Zweifel sind die Einschnitte, die unter der Überschrift „Agenda 2010“ vollzogen werden, für große Teile der Bevölkerung mit Härten verbunden. Gleichwohl bedeuten die Maßnahmen – etwa im Gesundheitswesen oder demnächst bei der Rente – gerade nicht die von Ihnen befürchtete „Enteignung“. Im Gegenteil: Nur wenn heute tiefgreifende Strukturreformen angepackt werden, können wir verhindern, dass morgen immer mehr Menschen auf die Armutsgrenze herabsinken. Nehmen Sie nur die Krankenversicherung: Schon heute ist diese nicht mehr in der Lage, die erforderlichen Leistungen kostendeckend zu erbringen. Für die Zukunft bedeutet dies: Entweder zahlen wir noch höhere Beiträge, mit dem Ergebnis, dass Arbeit in Deutschland immer teurer wird und deshalb ins Ausland abwandert. Oder wir nehmen einzelne Leistungsbausteine aus der garantierten Versorgung heraus. Das entlastet die Kassen, die Beiträge können auf dem heutigen Niveau bleiben oder sogar gesenkt werden – und davon haben wir alle etwas.

Mein Eindruck ist, dass immer mehr Menschen in Deutschland die Notwendigkeit der Reformen anerkennen. Allerdings sehen noch zu wenige Menschen ein, dass auch sie selber ihren individuellen Beitrag leisten müssen – zum Beispiel durch Verzicht. Und insofern hat die SPD eben doch ein Kommunikationsproblem: Nach außen, gegenüber der Bevölkerung, wird die „Agenda 2010“ nicht in ausreichendem Maße als ein Modernisierungsprogramm, sondern einseitig als Sozialabbau wahrgenommen. Das führt fast zwangsläufig zu Umfragewerten um 25 Prozent. Aber auch nach innen, in die Partei hinein, hat die SPD-Spitze nicht optimal kommuniziert: Immer mehr Mitglieder an der Basis gewannen den Eindruck, dass die Reformen nicht ausgewogen, die Politik des Kanzlers nicht im Gleichgewicht ist. So wurde der Boden unter Schröders Füßen immer brüchiger.

In den nächsten Monaten wird es für die Regierung folglich um zweierlei gehen: Zum einen muss sie endlich eine Sprache entwickeln, mit der sie die Mehrheit sowohl der Bevölkerung als auch der eigenen Klientel erreicht. In dieser Sprache hat eine pure Vergötterung des Marktes ebenso wenig zu suchen wie billige Polemik gegen die Großindustrie und vermeintlich reiche Erben. Zum anderen muss die SPD Kurs halten: Denn wer jetzt das Agenda-Projekt still beerdigt, dem fliegen Rente, Pflege und Arbeitsmarkt innerhalb kürzester Zeit mit doppelter Wucht um die Ohren. Dann aber fegt es diejenigen zuallererst weg, die an der Regierung sind. Denn sie sind nun einmal verantwortlich. In der Hoffnung, Sie mit diesen Gedanken erreicht zu haben, grüßt Sie freundlich

Ihr Hans Bellstedt

Dr. Hans Bellstedt ist Geschäftsführender Gesellschafter der Kommunikationsberatung PLATO. Das 1999 gegründete Unternehmen beschäftigt in Berlin-Mitte 14 und in Köln weitere zwei Mitarbeiter.

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