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Meinung: Stehlen sich die Unternehmen aus ihrer sozialen Verantwortung?

„Schlecht bezahlte Arbeit ist immerhin Arbeit“ von Ursula Weidenfeld vom 11. September Immer mehr Menschen in Deutschland sind geringfügig beschäftigt, haben befristete Verträge oder arbeiten Teilzeit.

„Schlecht bezahlte Arbeit ist immerhin Arbeit“

von Ursula Weidenfeld vom 11. September

Immer mehr Menschen in Deutschland sind geringfügig beschäftigt, haben befristete Verträge oder arbeiten Teilzeit. Das Statistische Bundesamt meldete, dass sich die Zahl dieser „atypischen Beschäftigungsverhältnisse, zu denen auch die Zeitarbeit gehört, in den vergangenen zehn Jahren um 2,6 Millionen erhöhte, während die ,normalen Beschäftigungsverhältnisse' seit 1997 um 1,5 Millionen sanken. Damit stieg ihr Anteil an allen abhängig Beschäftigten von 17,5 auf 25,5 Prozent.“

Im Klartext heißt das wohl, dass die sinkenden Arbeitslosenzahlen, die in der letzten Zeit vermeldet wurden, nicht nur der guten Konjunktur zu verdanken waren, sondern vor allem auch dem Umstand, dass sich immer mehr Arbeitgeber dieser „atypischen Beschäftigungsverhältnisse“ bedienen, um möglichst preiswerte Arbeitskräfte zu bekommen. Die Risiken sprich Sozialabgaben soll bitte schön die Gesellschaft übernehmen beziehungsweise der Arbeitnehmer selbst tragen.

Unsere Regierenden klopfen sich ob der sinkenden Arbeitslosenzahlen gegenseitig auf die Schulter, aber ist es wirklich ein Erfolg, wenn gleichzeitig die Zahl der „normalen“ Beschäftigungsverhältnisse zurückgeht? Ich bin alles andere als ein Sachverständiger, aber wenn diese Tendenz anhält, sehe ich verheerende Folgen auf unseren Sozialstaat zukommen, weil die Einnahmen immer weiter sinken, die Zahl der Hilfeempfänger aber steigen wird. Gar nicht auszudenken zum Beispiel, welche Rente jemand zu erwarten hat, der über einen längeren Zeitraum in solchen „atypischen Beschäftigungsverhältnissen“ arbeiten muss oder gar Hartz IV bekommt.

Vor nicht allzu langer Zeit wurden die Sozialsysteme – Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung – noch paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanziert. Die Politik hat das längst zulasten der Arbeitnehmer verschoben. Trotzdem versuchen immer mehr Arbeitgeber, sich vor diesen Kosten noch weiter zu drücken. Die Unternehmen – besonders die großen – stehlen sich immer öfter aus der sozialen Verantwortung, die sie für ihr Mitarbeiter schließlich auch haben (sollten), obwohl sie teils riesige Gewinne einfahren. Ist das die heutige „soziale“ Marktwirtschaft?

Rolf Günther, Berlin-Tempelhof

Sehr geehrter Herr Günther,

seit zwei Jahren erleben wir eine einseitige Debatte um die soziale Verantwortung der Unternehmen. Die Ungleichheit der Einkommen steige und das Armutsrisiko nehme zu, so lautet einer der häufig gehörten Vorwürfe, die sich vor allem gegen die Unternehmen richten. Obwohl die Beschäftigtenzahl in Deutschland mit 40 Millionen einen neuen Rekord erreichte, obwohl die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse um über eine Million stieg, wollte uns eine Verelendungs-Propaganda weismachen, dass sich die Unternehmen aus der sozialen Verantwortung stehlen und ihre Mitarbeiter schlecht behandeln würden.

Mit diesem falschen Bild räumt endlich eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) auf. Es betrachtet die Entwicklung nicht bis zum Jahr 2005, sondern schreibt sie ein Jahr fort und berücksichtigt den damals einsetzenden Wirtschaftsaufschwung.

Danach hat sich in den letzten Jahren die Einkommensschere nicht vergrößert, sondern verkleinert – dank des Wirtschaftswachstums und der Arbeitsmarktreformen der „Agenda 2010“. Die Mittelschicht ist nicht geschrumpft, sondern zuletzt wieder gewachsen. Mehr als eine Million Menschen sind im jüngsten Aufschwung von der Arbeitslosigkeit in die untere Mittelschicht aufgestiegen. Das hat vor allem mit den vielen neuen Arbeitsplätzen zu tun, die die Unternehmen geschaffen haben.

Einen beträchtlichen Anteil an der erfreulichen Entwicklung hat die Metall- und

Elektro-Industrie. Die M+E-Unternehmen haben in den vergangenen zwei Jahren ihre Stammbelegschaften um rund 250 000 Menschen aufgestockt. Die Jobs in der M+E-Industrie sind mit 46 000 Euro Jahresdurchschnittsgehalt gut bezahlt. Zudem verzeichneten die M+E-Arbeitnehmer in den letzten Jahren Lohnerhöhungen, die zwischen dem zwei- bis dreifachen über der durchschnittlichen Lohnerhöhung aller Arbeitnehmer lagen.

Die M+E-Unternehmen tun viel für die Nachwuchssicherung. Die Zahl der Ausbildungsplätze erreichte mit 75 000 im letzen Ausbildungsjahr einen neuen Höchststand. Unsere Unternehmen geben pro Jahr 3,5 bis vier Milliarden Euro für die Erstausbildung aus. Noch einmal der gleiche Betrag fließt in die Weiterbildung.

Aber auch über das eigene Unternehmen hinaus kommen die Unternehmen ihrer sozialen Verantwortung nach. Immer häufiger springen sie in die Bresche knapper öffentlicher Haushalte. Große Unternehmen engagieren sich in übergreifenden Kampagnen für gesellschaftliche Themen. Und im Mittelstand hat das soziale Engagement im regionalen Umfeld schon lange Tradition. Die in ihrer Heimat verwurzelten Familienunternehmen unterstützen – oft sehr diskret – die örtliche Kunstsammlung, den Sportverein oder das Symphonieorchester. Nach einer Forsa-Umfrage spenden mehr als zwei Drittel der inhabergeführten Unternehmen Geld für solche sozialen Zwecke. Das wissen die Mitarbeiter, und deshalb genießt die Spitze des eigenen Unternehmens bei ihnen hohe Glaubwürdigkeit und Anerkennung. Dass sich Unternehmen aus der sozialen Verantwortung gestohlen hätten, konnte aus dem eigenen Erleben hier niemand nachvollziehen.

Mit freundlichen Grüßen

— Martin Kannegiesser, Präsident

des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall

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