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Meinung: TARIFKONFLIKT IM ÖFFENTLICHEN DIENST Erpresst Verdi das Volk?

Unser Leser Hans-Jürgen Borchelt fordert von der Gewerkschaft Zurückhaltung. Der Bundesvorsitzende Frank Bsirske antwortet

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Betrifft: „Ein wahrer Dienst an der Öffentlichkeit“ vom 11. Dezember 2002

Verdi nimmt bei ihrem Kampf gegen die öffentlichen Arbeitgeber um bessere Konditionen für ihre Klientel uns Steuerzahler als Geiseln. Wie anders soll man denn dieses verantwortungslose Handeln einstufen, wenn ganz unverfroren damit gedroht wird, Bürger nicht mehr zu versorgen, nicht mehr zu befördern und sie im winterlichen Chaos auf den Straßen sich selbst zu überlassen. Es ist also nicht auszuschließen, dass es Tote geben könnte. Keine andere Gewerkschaft kann bei ihrem Lohnkampf derart erpresserische Mittel gegen unbeteiligte Dritte einsetzen! Es wird Zeit, dass der Gesetzgeber einschreitet, wenn wir nicht alle zum Spielball von Gewerkschaftsführern, zumal solcher mit Profilierungszwang, werden wollen.

Die Tarife im öffentlichen Dienst sind von 1991 bis 2001 um 41,6 Prozent gestiegen, die Effektivverdienste in der Gesamtwirtschaft um 41,2 Prozent. Denken wir an die Privilegien, ist jeder Kommentar überflüssig. Schau`n mer mal, wie die Politik, die sich im Sauseschritt von der „Nullrunde“ entfernt, wieder einmal vor dem eigentlichen Regenten dieser Republik einknickt.

HansJürgen Borchelt, Berlin

Sehr geehrter Herr Borchelt,

Sie schreiben es selber: Wenn Sie einmal krank sind, einen neuen Pass brauchen, wenn plötzlich die Elbe über die Ufer tritt und Millionen Bürger auf tatkräftige Soforthilfe angewiesen sind, wenn im Winter die Straßen vereist sind oder es darum geht, unseren Kindern eine ordentliche Betreuung anzubieten - täglich erwarten wir, dass „der Staat“ und damit die Kollegen aus dem öffentlichen Dienst gute Arbeit leisten. Dafür verdienen sie eine angemessene Bezahlung.

Nun sind die Einkommen von Krankenschwestern, Verwaltungskräften und den anderen öffentlich Beschäftigten immer weiter hinter denen in der Privatwirtschaft zurückgeblieben: Die Tarifverdienste im öffentlichen Dienst sind seit 1991 lediglich um 41,6 Prozent gestiegen. Um das mit der Entwicklung in der Gesamtwirtschaft zu vergleichen, müssen Sie auch dort das Tarifeinkommen zugrunde legen: Und das ist im selben Zeitraum um 48,4 Prozent gestiegen. Wenn nun ein Ingenieur seitdem 74 320,93 Euro weniger bekommen hat als sein Kollege in der Metallindustrie, ist er für seine relative Arbeitsplatzsicherheit bereits in Vorleistung getreten. Außerdem wurden in dieser Zeit 1,7 Millionen Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst abgebaut. Auch betriebsbedingte Kündigungen gab es.

Und wenn ein Mechaniker, der Busse im öffentlichen Nahverkehr repariert, im Jahr rund 15 000 Euro weniger verdient als sein Kollege in einer privaten Buswerkstatt, bekommt der öffentliche Dienst auf Dauer ein Problem, qualifizierten Nachwuchs zu finden – zu Lasten von uns Bürgern.

Deshalb fordert ver.di für die rund drei Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst nicht mehr und nicht weniger als das, was die Kollegen in der Metall-, Druck- oder Chemieindustrie, bei der Post, der Telekom oder im Handel 2002 bekommen haben: deutlich mehr als drei Prozent. Und die Beschäftigten in den neuen Bundesländern sollen endlich wissen, wann sie auch mit ihrem Einkommen in der Bundesrepublik angekommen sein werden und das Gleiche bekommen wie ihre Kollegen im Westen bis spätestens 2007.

Wenn die öffentlichen Arbeitgeber dem nichts anderes entgegen zu setzen haben als eine Nullrunde, gibt es zu Streiks keine Alternative. Unsere Aktionen richten sich nicht gegen die Bevölkerung, deswegen kündigen wir sie rechtzeitig an und richten Notdienste ein. Bislang sind wir bei den meisten Bürgern auf Verständnis gestoßen.

Frank Bsirske, Verdi-Bundesvorsitzender

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