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Meinung: Trauen sich unsere Politiker zu wenig?

„Die Wahlen – das große Misstrauensvotum“ vom 18. September 2006 Die Tatsache, dass die Anzahl der Nichtwähler in vielen Teilen dieser Republik zunimmt, ist nicht nur besorgniserregend sondern eher schon beängstigend, betrachtet man den Zeitraum, in dem dieser Trend anhält.

„Die Wahlen – das große Misstrauensvotum“

vom 18. September 2006

Die Tatsache, dass die Anzahl der Nichtwähler in vielen Teilen dieser Republik zunimmt, ist nicht nur besorgniserregend sondern eher schon beängstigend, betrachtet man den Zeitraum, in dem dieser Trend anhält. Dieses ist nicht nur ein Phänomen , welches in den Bundesländern Ostdeutschlands zu beobachten ist, wenn auch die Zahl der Menschen, die die Demokratie nicht (mehr) für die beste aller Staatsformen halten, schon äußerst bemerkenswert ist. Aber sie verwundert wenig, in Anbetracht der Entwicklungen seit 1990. Steigende Arbeitslosigkeit, zusammengewerkelte Rentenreförmchen, kollabierendes Gesundheitssystem, explosionsartige Schwindsucht in des Staates Kassen etc. Dies alles einhergehend mit fortlaufenden Mehrbelastungen für die Bürger.

Und in diesen vergangenen 16 Jahren ist die Politik nachvollziehbare Antworten, echte Lösungsansätze schuldig geblieben. Im Gegenteil, gerade die letzten beiden Legislaturperioden, mit großen Hoffnungen der Wählerschaft besetzt, haben gezeigt und führen uns immer noch fast täglich vor Augen, wie Politik am Leben vorbei gemacht wird. Rentenreform, Entbürokratisierung, Vereinfachung des Steuersystems und, last but not least, die laufende Diskussion um die Gesundheitsreform - alles konturlose, grauschwammige und wirkungslose Flickschustereien.

Um die immer größer werdenden Probleme Schritt für Schritt aber zügig zu lösen, mangelt es leider vielen Politikern nicht nur an Mut sondern auch am festen Willen, ohne Rücksicht auf die eigene Person klare Worte zu finden, was im kommenden Jahrzehnt notwendigerweise zu tun ist, und die Strategie zur Beseitigung der lange bekannten Mißstände klar und für jedermann deutlich zu entwickeln.

Politik bzw. politisches Reden und Handeln muss nachvollziehbar sein, darf und muss sogar kontrovers sein, damit die Konturen der Handelnden erkennbar werden, Möglichkeiten zur Entscheidung gegeben werden und der Weg für Entwicklungen frei werden kann. Dann wird Politik wieder lebendig und erlebbar, für jedermann interessant und die Wählerbeteiligung erheblich steigen.

Thomas Dreher, Berlin-Moabit

Sehr geehrter Herr Dreher,

in Ihren Gedanken zum Ausgang der Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern finde ich viel Richtiges. In der Tat muss uns der große Anteil von Nichtwählern beunruhigen. Und zwar nicht, weil es die eine oder die andere Partei trifft. Dahinter steckt oft eine generelle Abwendung von der Politik. Wenn ich sage, dass es „uns“ beunruhigen muss, dann meine ich uns Politiker zuerst, aber auch Sie und mich als mündige Bürger unseres Landes. Die strikte Trennung zwischen Bürgerinnen und Bürgern einerseits, Politikerinnen und Politikern andererseits wird auch von Ihnen zu schnell vollzogen. Politiker sind Bürger mit einem Amt auf Zeit, das durch Wahlen entzogen oder bestätigt wird. So will es die Demokratie. Gerade dank ständiger Kontrolle ist sie die Regierungsform mit der geringsten Anfälligkeit für schwere Fehler. Schauen Sie nur auf die Diktaturen dieser Welt. Versäumnisse werden bei uns eben nicht unter den Teppich gekehrt, sondern offen kritisiert und durch Wählervotum manchmal auch bestraft. Ein freies Wort furchtlos aussprechen zu können, auch das ist Demokratie. Es gehört zur Bürgerehre, dieses hohe Gut, das gerade die Sozialdemokratie bitter erkämpfen musste, zu verteidigen. Wo die Demokratie verächtlich gemacht und angegriffen wird, wie es die NPD mit ihren Einschüchterungsversuchen, ja mit gewalttätigen Übergriffen in den Wahlkämpfen getan hat, ist Verständnis die falsche Antwort. An dieser Schwelle müssen wir uns ganz einfach grundsätzlich wehren und den Fanatismus in die Schranken weisen.

Der stille Rückzug aus der Demokratie, der bei enttäuschten oder verunsicherten Menschen anzutreffen ist, verlangt gewiss nach anderen Antworten. Ich bin sehr dafür, dass wir darüber nachdenken, wie politische Diskussionen verständlicher geführt und wie die Entscheidungen in der Öffentlichkeit klarer vertreten werden können. Deshalb müssen wir, Sie und ich, bereit sein, auch unpopuläre, komplizierte, aber notwendige Reformen mit Vernunft und Entschlossenheit zu unterstützen.

Wir müssen bereit sein, Erfolge anzuerkennen. Sie schreiben über steigende Arbeitslosigkeit. Tatsache ist, dass die Arbeitslosigkeit dieses Jahr sinkt. Es gibt mehr versicherungspflichtige Arbeitsplätze und mehr offene Stellen – dank Reformen. Sie schreiben von der Schwindsucht in den Staatskassen. Tatsache ist, dass die Steuereinnahmen kräftig steigen, dass die Bundesagentur für Arbeit einen Rekordüberschuss melden kann und dass wir die Maastrichtkriterien wieder einhalten – dank Reformen. Dank Reformen wurde die Belastung der Bürgerinnen und Bürger durch Einkommenssteuern seit 1998 so kräftig gesenkt wie nie zuvor in der Bundesrepublik. Dank Reformen ist die Rentenversicherung stabilisiert. Und nun stehen wir mitten in der Gesundheitsreform. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch diese schwierige Aufgabe schaffen und in den kommenden Jahren auf eines der weltweit leistungsfähigsten und sozialsten Gesundheitssysteme stolz sein können.

Ihr

— Kurt Beck, SPD-Vorsitzender

und Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz

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