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Meinung: Tut der Staat genug für die Bildung und Erziehung unserer Kinder?

„Die Lehre von Neukölln“ vom 31. März 2006 Die Zustände an der Rütli-Schule sind offensichtlich kein Einzelfall und Gewalt an Schulen ist nicht nur unter Migrantenkindern zu finden.

„Die Lehre von Neukölln“

vom 31. März 2006

Die Zustände an der Rütli-Schule sind offensichtlich kein Einzelfall und Gewalt an Schulen ist nicht nur unter Migrantenkindern zu finden. Das tatsächliche Problem findet sich nicht in der Hauptschule, sondern beginnt viel früher. In unserer Gesellschaft ist es leider so, dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien im späteren Leben in der Regel selbst zu den sozial Benachteiligten gehören, weil sie keine Perspektive in diesem Land haben. Bei vielen Migrantenkindern kommt dazu, dass sie schon im vorschulischen Zeitraum oft nicht auf die Erfordernisse des Schulbesuchs vorbereitet werden. Kenntnisse der deutschen Sprache sind nur fragmentarisch vorhanden, so dass ein Unterricht nicht wirklich stattfinden kann. Um das zu ändern wird schon seit Jahren nicht genug getan, so dass sich das Problem immer weiter ausweitet. Den Lehrern der Rütli-Schule gebührt Dank für ihren Brandbrief, mit dem sie auf die lange ignorierten Missstände öffentlich aufmerksam machten.

Aber was ist die Reaktion unserer Politiker? Sie schicken einige Sozialarbeiter oder einen neuen Direktor in die betroffene Schule oder glauben, das Problem wird – siehe Bayern – durch Verweigerung der Einschulung bei fehlenden Deutschkenntnissen gelöst. Damit stellt man diese Jugendlichen nur endgültig ins soziale Abseits. Die Quittung wird es dann in einigen Jahren geben, wenn auch diese Generation so weit ist, sich unserer Gesellschaft zu verweigern.

Den jetzt auffälligen Jugendlichen noch unsere Werte und Normen beizubringen, ist schon nicht mehr möglich. Der Staat hat es schlicht und einfach versäumt, in die Bildung und Erziehung der Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen zu investieren und ich fürchte, das wird angesichts der leeren Kassen auch so bleiben.

Michael Szymanski, Berlin-Spandau

Sehr geehrter Herr Szymanski,

die Problematik an der Rütli-Schule ist in der Tat kein Einzelfall. Leider gibt es an vielen Schulen derartige Entwicklungen. Dabei geht es aber nicht nur um das Thema Integration, sondern um eine soziale Frage. Die größte Herausforderung in der Bildungspolitik der nächsten Jahre wird sein, allen Kindern und Jugendlichen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft Zugang zu guten Bildungswegen zu schaffen. Hier ist Bildungspolitik ganz klar auch Sozialpolitik. Der beste Ansatz zu gelingender Bildung wie auch zu erfolgreicher Integration ist die Sprache. Sprachfähigkeit bedeutet Ausdrucks- wie Verständnisfähigkeit. Hier ist aber zunächst die Familie gefragt. Eltern von Kindern ausländischer Herkunft müssen sich klar machen, dass die Beherrschung der deutschen Sprache die wichtigste Voraussetzung für die Zukunftschancen ihrer Kinder ist. Das bedeutet nicht, dass diese Kinder ihrer Herkunft und ihrer Kultur entfremdet werden sollen. Im Gegenteil, die Beherrschung der Herkunftssprache ist eine Bereicherung, die auch in Schulzeugnissen zertifiziert werden kann. Sprache als Schlüssel zur Bildung muss sich in den Kindertagesstätten wie dann später in der Schule als roter Faden durchziehen.

Darüber hinaus muss ein ganzes Bündel von Maßnahmen greifen, die in der Jugend- und Sozialarbeit angesiedelt sind. Hier muss man mehr dieser wichtigen Arbeit direkt in die Schulen verlagern. Ein Netzwerk zwischen Schule und außerschulischen Partnern kann Auswüchse, wie sie jetzt stärker zu beobachten sind, verhindern. Sinnvoll sind sicher auch Patenschaften, die von außen übernommen werden und die einzelnen Schülern oder ganzen Klassen Unterstützung bieten können. Es müssen darüber hinaus Konzepte entwickelt werden. wie man Jugendliche aus Parallelgesellschaften herausholen kann, in denen sie keine Perspektiven haben.

Ein gutes pädagogisches Angebot, Förderung und Unterstützung sind nötig. Genauso wichtig ist es aber auch, sich vor falsch verstandener Toleranz zu hüten. Für viele Jugendliche ist „Respekt“ ein zentraler Begriff geworden. Schwierige Jugendliche versuchen oft, sich Respekt mit Aggression zu verschaffen. Das kann nicht geduldet werden. Alle Jugendlichen haben einen Anspruch darauf, von der Gesellschaft respektiert zu werden. Aber Respekt ist keine Einbahnstraße. Auch problematische Jugendliche müssen unsere Gesellschaft, ihre Kultur und ihre Ordnung respektieren. Respekt verschafft sich auf Dauer nicht der Aggressive, sondern derjenige, der bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, für sich und für andere. Es müssen ganz klare Grenzen gezogen werden und das Überschreiten dieser Grenzen muss auch Sanktionen zur Folge haben. Wir dürfen Toleranz nicht mit Ignoranz verwechseln. Wir dürfen aber auch unserer eigenen Kultur nicht ignorant gegenüberstehen. Die kulturelle Selbstvergewisserung ist die Grundlage für das Selbstbewusstsein einer Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die kulturell nicht klar sortiert ist, befördert die Orientierungslosigkeit von Jugendlichen.

Mit freundlichen Grüßen

— Dr. Annette Schavan (CDU), Bundesministerin für Bildung und Forschung

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