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Meinung: UNIONSPOLITIKER UND DIE „JUNGE FREIHEIT“ Warum gibt es Kritik an Lengsfeld?

Unser Leser Thomas Renelt findet den Umgang der CDU mit der Politikerin falsch. Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Bosbach will keinen Rechtsruck

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Betrifft: „Union sauer auf Lengsfeld“ vom 21. Dezember 2003

Ich habe mit Interesse Ihren Artikel zu den Reaktionen der CDU-Führung auf das Interview der CDU-Bundestagsabgeordneten Vera Lengsfeld mit der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ zum Fall des Abgeordneten Hohmann gelesen.

Zunächst missfällt mir die undifferenzierte und abfällige Charakterisierung der „Jungen Freiheit“ als „rechtes Blatt“. Bitte stellen Sie sich die Frage, ob Sie auch zum Beispiel die „tageszeitung“ genauso abfällig als „linkes Blatt“ titulieren würden. Zu den engagierten Mitarbeitern oder Unterstützern der „Jungen Freiheit“, der im Übrigen in der Vergangenheit sehr heterogene, aus völlig unterschiedlichen politischen oder gesellschaftlichen Gruppierungen stammende Persönlichkeiten Interviews gegeben haben (neben dem Satiriker Ephraim Kishon, dem sozialdemokratischen Minister a.D. Andreas v. Bülow und Charlotte Knobloch fällt mir spontan auch als mehrfacher Interview-Geber der Journalist Peter Scholl-Latour ein), zählen immerhin Persönlichkeiten wie Innensenator a.D. Heinrich Lummer und Generalbundesanwalt a.D. Alexander von Stahl.

Dem stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Bosbach würde ich daher raten, seine öffentlich dokumentierte Entrüstung zu zügeln und sich nicht nur die Motive der Abgeordneten Lengsfeld zu dem inkriminierten Interview darlegen zu lassen, sondern z. B. den stellvertretenden Ministerpräsidenten von Brandenburg, General a.D. Schönbohm, diesbezüglich zu befragen, der ebenfalls der „Jungen Freiheit“ ganz bewusst und wiederholt für Interviews zur Verfügung gestanden hat.

Warum ich persönlich Leser der „Jungen Freiheit“ bin, möchte ich am Beispiel der Affäre Hohmann kurz erläutern. Die „Junge Freiheit“ war eines der wenigen Presseorgane, die es mir unmittelbar nach Losbrechen der öffentlichen Entrüstung im Fall Hohmann durch Abdruck der vollständigen Rede ermöglicht haben, mir ein eigenes, von Kommentierungen anderer Medien unabhängiges Urteil zu bilden. Frau Lengsfeld hat meiner Meinung nach mit ihren Aussagen sowohl große Sensibilität in Bezug auf demokratiefeindliche und zutiefst anti-liberale Tendenzen als auch außerordentlichen Mut bewiesen. Schade, dass es in der CDU/CSU- Bundestagsfraktion offenbar nicht mehr Abgeordnete gibt, die sich der gleichen Kombination von Intelligenz, Fairness und Mut rühmen können. Vielleicht sind in der CDU/CSU tatsächlich nur noch ehemalige DDR-Bürgerrechtler, die am eigenen Leibe die persönlichen Abgründe, in die unfreie Gesellschaften die Menschen stürzen können, erfahren mussten, in der Lage, solche Tendenzen zu erkennen und gleichzeitig den Mut aufzubringen, sich persönlich dagegen zu stemmen. Ich möchte Frau Lengsfeld ausdrücklich meinen Dank aussprechen.

Thomas Renelt, München

Sehr geehrter Herr Renelt,

Ihrer Aufforderung, meine „Entrüstung zu zügeln“, kann ich schon deshalb nicht folgen, weil ich nicht entrüstet bin. Wer der „Jungen Freiheit“ (JF) ein Interview geben möchte, der mag es tun. Das muss jede(r) für sich selbst entscheiden. So, wie es meine Entscheidung ist und bleibt, dies nicht zu tun. Maßgeblich ist für mich dabei nicht die Frage, ob die JF ein „rechtes Blatt“ ist, was immer das sein mag, sondern dass sie seit geraumer Zeit unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht. Und das gewiss nicht völlig grundlos. Für mich ganz persönlich gilt: Durch die große Medienvielfalt gibt es zahllose Möglichkeiten, die Politik der Union öffentlich zu vertreten und für sie zu werben. Warum soll ich das dann in einer Zeitung tun, wo ich mich möglicherweise in einem redaktionellen Kontext wiederfinde, mit dem ich nicht in Verbindung gebracht werden möchte? Andere mögen sich anders entscheiden.

Gerade wenn Sie die Rede von Herrn Hohmann im vollen Wortlaut kennen, müssten Sie für die Entscheidung der Fraktion eigentlich Verständnis haben. Man kann nicht ernsthaft bestreiten, dass Herr Hohmann in seiner Rede bewusst antisemitische Stereotypen benutzt und antisemitische Ressentiments bedient hat. Den von der Nazi-Diktatur organisierten Massenmord an Millionen Juden mit Verbrechen einzelner Menschen jüdischen Glaubens während der russischen Revolution gleichzusetzen, ist absurd und müsste eigentlich für jeden unerträglich sein.

Herr Hohmann ist nicht Opfer einer inszenierten Treibjagd, und die Fraktion hat sich nicht einer Medienkampagne gebeugt. Die häufig gestellte Frage, warum Herr Hohmann keine zweite Chance erhielt, ist verständlich. Voraussetzung hierfür wäre jedoch seine Bereitschaft gewesen, einzusehen, dass und warum seine Rede gerade für Christdemokraten nicht akzeptabel sein kann, und sich von ihr nachvollziehbar und glaubwürdig zu distanzieren. Da er hierzu nicht bereit war, hat er selber die Basis für eine weitere Zusammenarbeit verlassen.

Die CDU hat sowohl christlich-soziale als auch liberale und konservative Wurzeln. Gerade im besten Sinne des Wortes konservative Positionen können wir dann viel überzeugender vertreten, wenn es keinen Zweifel daran geben kann, dass damit nicht politische Positionen außerhalb des Verfassungsbogens gemeint sind. Alfred Dregger und Franz Josef Strauß waren gewiss Konservative. Aber eine solche Rede hätten sie nie gehalten. Rechtsextremismus oder Antisemitismus dürfen in der Union keinen Platz haben.

Wolfgang Bosbach ist stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

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