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Meinung: Uns leitet die Sorgfalt

„Organspenden-TV – Niere, Leber, Herz“ vom 3. Juni Mit Entsetzen habe ich den Kommentar gelesen, in dem die niederländische Gesellschaft als „unmoralisch“ apostrophiert wird.

„Organspenden-TV – Niere, Leber, Herz“ vom 3. Juni

Mit Entsetzen habe ich den Kommentar gelesen, in dem die niederländische Gesellschaft als „unmoralisch“ apostrophiert wird.

Selbstverständlich steht es jedermann frei, eine Meinung über die Fernsehshow zu haben, bei der angeblich ein Organ gespendet werden sollte. Auch in den Niederlanden lehnten 65 Prozent der Bevölkerung diese Show ab. Die Meinungsfreiheit ist ein so hohes Gut, dass der Staat zu Recht nicht über Mittel verfügt, die Ausstrahlung einer solchen Sendung vorab zu verbieten. Es steht auch jedermann frei, eine Meinung über den Umgang der Niederlande mit dem Thema Sterbehilfe zu haben. Sie sollte aber – gerade wenn sie von Journalisten geäußert wird – auf Tatsachen beruhen. In den Niederlanden wird nicht, wie suggeriert wird, Sterbehilfe an alten und behinderten Menschen durchgeführt. Vielmehr wird Sterbehilfe ausschließlich bei Menschen geleistet – und zwar auf deren eigenen Wunsch –, die unerträglich unter ihrer Krankheit leiden und sich in einem aussichtslosen Zustand befinden. Zusätzlich müssen eine Reihe sehr strenger, präzise definierter Sorgfaltskriterien erfüllt sein. So muss stets ein unabhängiger Arzt konsultiert werden, und der nichtnatürliche Tod muss gemeldet werden. Hält sich der Arzt nicht an diese Kriterien, kann er strafrechtlich verfolgt werden. Die in den Medien immer wieder auftauchenden Behauptungen über angebliche Sterbehilfe bei alten und behinderten Menschen in den Niederlanden entbehren jeder Grundlage.

Besonders unangebracht finde ich aber, dass im letzten Satz des Kommentars die Spendershow und die niederländische Sterbehilfepraxis gewissermaßen in einem Atemzug genannt und beides als Beleg dafür angeführt wird, dass die gesamte niederländische Gesellschaft „unmoralisch“ sei. Sie zeichnen hier bewusst ein Zerrbild unseres Landes. Es mag sein, dass die gesetzlichen Regelungen zu gesellschaftspolitisch-ethischen Fragen wie Sterbehilfe, Ehe zwischen Gleichgeschlechtlichen und Drogen in den Niederlanden zum Teil von denen in den Nachbarländern abweichen. Diese Regelungen sind aber das Ergebnis eines jahrzehntelangen, sorgfältigen Abwägungsprozesses und entsprechen überdies der – möglicherweise typisch niederländischen – Gewohnheit, derartige Phänomene, die in jeder Gesellschaft vorkommen, auch rechtlich zu regeln.

Peter P. van Wulfften Palthe,

Botschafter der Niederlande, Berlin

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