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Meinung: Untergeschobener Antisemitismus

Betrifft: „Die lästige Vergangenheit“ im Tagesspiegel vom 26. Juli 2002 Mit einigem Erstaunen nehme ich die Behauptung von Ahlheim und Heger zur Kenntnis, dass ich seit Jahren in Hörsälen und Seminaren von antisemitisch eingestellten Studenten umgeben bin, ohne etwas davon bemerkt zu haben.

Betrifft: „Die lästige Vergangenheit“ im Tagesspiegel vom 26. Juli 2002

Mit einigem Erstaunen nehme ich die Behauptung von Ahlheim und Heger zur Kenntnis, dass ich seit Jahren in Hörsälen und Seminaren von antisemitisch eingestellten Studenten umgeben bin, ohne etwas davon bemerkt zu haben. Da weisen die beiden Kollegen nach, dass heutige Studenten verantwortungsbewusst, lebensbejahend und tolerant gegenüber gesellschaftlichen Minderheiten (einschließlich jüdischen Mitbürgern) eingestellt sind - was auch meine Erfahrung ist -, und schieben ihnen dann doch einen Antisemitismus unter.

Auf moralisch fahrlässige Weise spielen Ahlheim/Heger positive Werthaltungen und konsequente Ablehnungen des Antisemitismus unter Studenten als antrainiert herunter, während Antworten auf weiche Interviewfragen zu einem „sekundären Antisemitismus" aufgemotzt werden. Man muss in den Fragen nur geschickt die bekannten Walser-affinen Reizwörter (Schlussstrich, Nationalgefühl etc.) einbauen und die Antworten entsprechend interpretieren, um eine „neue Form des Antisemitismus unter Studierenden" zu kreieren. Das Motto der Autoren scheint zu sein: Der eigentliche und viel gefährlichere Antisemit ist derjenige, der selber nichts davon weiß und in seiner ganzen Unschuld den Antisemitismus auch noch ablehnt.

Vielleicht hätten die Autoren bei entsprechenden Fragen sogar positive Einstellungen zu Juden herausgefunden, was sie dann aber als scheinheiligen Philosemitismus abgetan haben möchten, sozusagen die verwerflichste Form des Antisemitismus.

Das Problem der Autoren ist folgendes: Die Jüngeren reagieren auf die Reizwörter nicht mehr so, wie die Älteren wollen, dass man moralisch verpflichtet wäre zu reagieren. Die Autoren möchten nicht mit der Möglichkeit rechnen, dass eine bestimmte Form der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit inzwischen in die Jahre gekommen ist und jüngere Menschen einfach nicht mehr so tun können, als hätten sie diese untergegangene Zeit persönlich erlebt.

Prof. Dr. Gerhard Wegner,

Universität-Erfurt

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