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Meinung: Warum bewertet die Kirche den 20. Juli heute anders als 1944?

„Kanzler sieht im 20. Juli einen Ansporn“ und „Zeugnis des anderen Deutschland“ vom 21.

„Kanzler sieht im 20. Juli einen Ansporn“ und „Zeugnis des anderen Deutschland“ vom 21. Juli 2004

Politiker und Bischöfe feiern die Attentäter des 20. Juli als Vorkämpfer einer demokratischen Nachkriegsrepublik. Das ist falsch.

Der Verschwörerkreis um Graf Stauffenberg und Dr. Goerdeler bestand größtenteils aus ehrenwerten Nationalkonservativen und enttäuschten Nationalsozialisten mit hohen moralischen Maßstäben, aber einer autoritären Staatsauffassung. Man wollte keinen Parteienstaat („kein Parteiengezänk“), sondern die Herrschaft der Besten in einer Art Ständestaat. Großdeutschland – mit Österreich und dem Sudetenland – sollten nach dem Willen der Umsturzplaner weiterbestehen. Ein Verbot der NSDAP war nicht beabsichtigt, nur eine Säuberung. Wären die Patrioten um Graf Stauffenberg noch am Leben, würden sie mit ihren Vorstellungen in der heutigen BRD nicht als „rechtsextrem“ eingestuft?

Besonders laut preisen jetzt Vertreter der Evangelischen Kirche die Zivilcourage der Widerständler. Doch nach dem missglückten Putschversuch zeigten sich die meisten Kirchenmänner zutiefst erschüttert über den „verbrecherischen Anschlag“. Landesweit ordnete man Dankgottesdienste an für die „gnädige Errettung des Führers“. Bis zum letzten Kriegstag stand die Amtskirche in Treue fest zu Hitler. Die Druck- und Tonbandzeugnisse jener Gefolgschaft füllen die historischen Archive. Seltsam nur, dass Bischof Huber und andere Festprediger nie daraus zitieren. Sollte, wer den „Aufstand des Gewissens“ rühmt, nicht wenigstens den Mut zur Wahrheit besitzen?

Herbert Rauter, Karlsruhe

Sehr geehrter Herr Rauter,

Sie haben offenbar den Eindruck, dass in den Tagen der Erinnerung an den 20. Juli ein verklärendes und damit verzerrendes Bild der Verschwörer gemalt worden ist. Ich habe das anders erlebt. Die Ecken und Kanten, das uns heute Fremde, auch die Fehleinschätzungen, sind genauso angesprochen worden wie der Mut, die „hohen moralischen Maßstäbe“ unter Einsatz des Lebens in Taten zu bewähren. Die Verschwörer waren keine Radikalreformer, aber sie hatten – genauso wie kritische Menschen aus anderen politischen Lagern – offene und nicht verblendete Augen für die verbrecherischen Pläne und Taten des Regimes; sie engagierten sich auf dem Hintergrund ihrer Glaubensüberzeugungen und Wertvorstellungen für Menschlichkeit und waren bereit, ihr Leben dafür zu opfern. Natürlich waren auch sie Kinder ihrer Zeit, in ihren Bildern vom Staat gibt es Elemente, die uns heute irritieren, so wie künftige Generationen vielleicht manches irritieren wird, was uns heute selbstverständlich erscheint. Aber wir finden bei jenen, die sich zum Widerstand durchgerungen haben, auch Äußerungen von großer Weitsichtigkeit, die selbst jetzt noch beeindrucken. Das Grundgesetz, das sie geschrieben hätten, sähe anders aus als unser Grundgesetz von 1949. Und doch verdanken wir den freiheitlichen Geist unserer Verfassung auch dem Einsatz der Frauen und Männer des 20. Juli. Ich bin überzeugt: Sie würden heute die Ideale eines freien und humanen Zusammenlebens im Staat, die ihnen so wichtig waren, in einer auf die heutige Zeit ausgerichteten Weise formulieren.

Sie sprechen sich gegen ein selektives Erinnern aus. Darin stimme ich mit Ihnen überein. Aber der Vorwurf trifft weder die diesjährigen Veranstaltungen zum 20. Juli noch die Predigt von Bischof Huber, über die der Tagesspiegel berichtete und die für Sie offenbar der Anlass Ihres Briefes war. Bischof Huber, wie viele Redner an jenem Tag, hat ausdrücklich die Widerstandskräfte aus den anderen politischen Lagern in seine Würdigung einbezogen. Ich kann auch nicht sehen, dass wir in der Evangelischen Kirche eine nur selektive Erinnerungskultur pflegen. An das Versagen weiter Teile der Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus erinnern wir ebenso wie an die Kräfte des Bekennens und des Widerstands, die es auch in der Evangelischen Kirche gegeben hat. Bischof Huber hat selber in seiner Predigt davon gesprochen, dass unsere Kirche sich lange Zeit damit schwer getan hat, den Widerstand des 20. Juli zu würdigen; und in besonderen Gottesdiensten zum Buß- und Bettag ist in den letzten Jahren besonders derer gedacht worden, die Opfer auch des Versagens der Kirche geworden sind: der Juden in den christlichen Gemeinden, der Zwangsarbeiter. Beides ist für die Bewältigung der Gegenwart wichtig: das Erinnern an die Zeiten des Versagens wie das Erinnern an Menschen, die couragiert gehandelt haben und uns darin zum Vorbild werden können. Es geht nicht um Heldenverehrung, sondern es geht darum, Menschen nicht zu vergessen, die für ihren Einsatz mit dem Leben bezahlen mussten und zunächst verhöhnt und diffamiert wurden, und es geht darum, Lehren für die Zukunft zu ziehen.

— Propst Dr. Karl-Heinrich Lütcke antwortet für Bischof Dr. Wolfgang Huber, der im Urlaub ist. Lütcke ist der Stellvertreter des Bischofs der Landeskirche und zugleich Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.

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