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Meinung: Warum haben die Bürger in Europa keine echte Wahl?

Zu: „Denkzettel für die Regierungen“ vom 14. Juni 2004 Wir EUBürger wurden nicht zur EU-Süderweiterung, genauso wenig zur Euro-/Teuro-Einführung und noch weniger zur EU-Osterweiterung gefragt.

Zu: „Denkzettel für die Regierungen“ vom 14. Juni 2004

Wir EUBürger wurden nicht zur EU-Süderweiterung, genauso wenig zur Euro-/Teuro-Einführung und noch weniger zur EU-Osterweiterung gefragt. Dass es überhaupt ein EU-Parlament gibt, erfährt man nur, wenn wieder Spesen o.Ä. falsch abgerechnet wurden. Ja, selbst der Spitzenkandidat der CDU ist und bleibt unbekannt.

Warum um Himmels willen sollte man zur Europawahl gehen? Wenn 40 Prozent dennoch wählen gingen, so zeigt sich, dass – neben vielleicht zehn Prozent Parteisoldaten, die immer ihre Partei wählen gehen – viele Bürger demokratisch beteiligt und nicht übergangen werden wollen.

Auch bei der Bundestagswahl konnten die Wähler eben nicht über Konzepte und Reformen entscheiden, wie sie danach als Agenda 2010 über sie hereinbrachen. Auch bei Landtagswahlen ist das zunehmend so, und in den Städten ist es ebenfalls üblich geworden, dass die wichtigen Entscheidungen, Pöstchen und Verträge entweder kurz vor den Wahlen schnell noch unter Dach und Fach gebracht werden, oder sie werden im Wahl-„kampf“ von allen Parteien im Konsens verschwiegen und hinterher aus der Schublade gezogen, egal wer die Wahl gewinnt oder verliert.

Welche Wahl hat dann der Wähler? Was für eine Demokratie soll das sein, etwa die der Blankoschecks? Als Wähler wird man so jedenfalls massiv entmündigt und auf Europa bezogen am deutlichsten.

Die Eliten in Deutschland und in Europa sollten sich ernsthaft und ganz schnell Gedanken machen, dass sie die Bürger mitnehmen in die EU, nicht nur die Banken und Konzerne. Anders wird es auf Dauer nämlich wenig mit der Friedensmacht oder dem geeinigten Europa. Das zeigt sich doch auch daran, wie viele EU-Gegner bei den Europawahlen gewählt wurden, bei der ansonsten nur die nationalen Medien und Parteien ihre jeweilige Nabelschau hielten, sich also auch nicht wirklich um Europa kümmerten!

Lothar Reinhard, Mülheim

Sehr geehrter Herr Reinhard,

Ihren Leserbrief habe ich mit Interesse gelesen. Die niedrige Wahlbeteiligung bei den jüngsten Europawahlen und die Stärkung von EU-Gegnern in vielen Mitgliedstaaten müssen für all’ diejenigen, die sich beruflich oder privat mit Europa beschäftigen, dringend Anlass zum Nachdenken über die Gründe dieser Entwicklung sein. Eine Ursache ist meines Erachtens das Informationsdefizit über europäische Politik.

Ich teile in keiner Weise Ihre Auffassung, dass eine Ursache für das Desinteresse an den Europawahlen darin zu sehen sei, dass die Wählerinnen und Wähler „massiv entmündigt“ werden und – wie Sie schreiben – „auf Europa bezogen am deutlichsten“. Das Europäische Parlament hat in den letzten Jahren eine erhebliche Ausweitung seiner gesetzgeberischen und Kontrollbefugnisse erfahren. Die demokratische Legitimation von EU-Entscheidungen wurde hierdurch deutlich verbessert.

Leider sind sich noch immer zahlreiche Bürgerinnen und Bürger nicht bewusst, in wie viele Bereiche ihres täglichen Lebens die Entscheidungen des Europäischen Parlaments inzwischen einwirken (Gesundheits- und Verbraucherschutz, Umweltrecht, Arbeitsschutz etc.). Ich sehe hier eine Verantwortung von Politik und Verwaltung. Aber auch die der Parteien und Medien, noch stärker als bisher über die praktischen Auswirkungen der parlamentarischen Arbeit auf europäischer Ebene zu informieren und den Wahlberechtigten damit deutlich zu machen, dass ihre Stimmabgabe wichtig ist, um die gesetzgeberische Arbeit der kommenden fünf Jahre in Europa mitzubestimmen.

In Berlin ist das Informationsangebot zu Europathemen schon jetzt sehr breit. Allein in diesem Jahr fanden in Berlin zwischen Mitte April und Mitte Juni ca. 220 Veranstaltungen unterschiedlichster staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen rund um das Thema „Europa“ statt.

Gestatten Sie mir zum Schluss eine Replik auf Ihren Vorwurf, die EU-Bürger würden zu Entscheidungen wie der EU-Erweiterung oder der Währungsunion nicht gefragt. Die Väter des Grundgesetzes haben sich aus historisch nachvollziehbaren Gründen für das Modell der repräsentativen Demokratie und gegen Volksentscheide auf nationaler Ebene entschieden. Als mündiger Wahlberechtigter haben Sie regelmäßig die Möglichkeit, über den politischen Kurs Ihres Landes bzw. Europas mitzuentscheiden. Indem Sie diese Einflussmöglichkeit nutzen, kommen Sie Ihrer Verantwortung als Wähler nach.

Demokratie lebt davon, dass sich die Bürgerinnen und Bürger engagieren. Die Enttäuschung über politische Entscheidungen, die einem nicht gefallen, darf kein Grund sein, sich selbst der Wahlmöglichkeit zu berauben.

— André Schmitz-Schwarzkopf ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Heinz-Schwarzkopf-Stiftung in Berlin, deren Ziel die Motivierung Jugendlicher für die europäische Integration ist.

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