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Meinung: Warum pfeifen Schiedsrichter auf den Fernsehbeweis?

„Staatsanwälte verweigern DFB die Akten“ vom 1. Februar und „Weiterer Schiedsrichter belastet“ vom 2.

„Staatsanwälte verweigern DFB die Akten“ vom

1. Februar und „Weiterer Schiedsrichter belastet“ vom 2. Februar 2005

Interessanterweise hat die Gilde der Schiedsrichter den Fernsehbeweis als Hilfsmittel für die Schiedsrichterei meist brüsk abgelehnt. Dem Fußball täten der Tatsachenentscheid und die damit verbundenen Debatten am nächsten Tag so gut, dass man ruhig auch mal mit Fehlentscheidungen leben sollte, wiewohl sie dann in der Zeitlupe als glatte Fehlgriffe entlarvt werden. Bumms! Das ist ein Selbstvertrauen! Und das aus den Mündern derer, die wie niemand anderer sonst daran interessiert sein müssten, dass die Pfiffe so weit wie überhaupt im Fußball möglich auch dem tatsächlichen Spiel adäquat sein sollten. Jedes Hilfsmittel müsste doch den schwarzen Männern recht sein, haben sie doch letztendlich nichts anderes im Sinn, als eine möglichst richtige Entscheidung zu treffen.

Wieso wehren sich die Unparteiischen so sehr gegen das wahrscheinlich allerbeste Hilfsmittel zur Entscheidungsfindung? Sind sie dabei so sehr in ihrer Ehre und Unfehlbarkeit getroffen und warum? Warum verzichten sie dann nicht auch folgerichtig auf die zwei Männer mit den Fähnchen, die nur an der Außenlinie klebend manchmal störend Zeichen geben? Wenn das Spiel laufen gelassen und nur nach Torerfolgen oder strittigen Szenen der Fernsehbeweis befragt werden würde, wäre der Spielfluss gefördert. Und der Schiedsrichter bekäme die faire Chance, die zu bewertende Spielsituation genauso gut zu sehen wie der Fernsehzuschauer zu Hause eben auch.

Timoteo Buche, Wien

Sehr geehrter Herr Buche,

obwohl es mehr als den mir an dieser Stelle zur Verfügung stehenden Raum bräuchte, um alle Argumente anzuführen, möchte ich Ihnen einige Aspekte aufzeigen:

Sie sprechen von strittigen Szenen. Welche Szenen meinen Sie damit? Was ist beispielsweise mit einem nachweislich der falschen Mannschaft zugesprochenen Einwurf, Abstoß oder Eckstoß, der in unmittelbarer Folge zum Tor führt? Das ist zwar weniger spektakulär als ein zu Unrecht oder nicht gegebener Strafstoß, kann in der Auswirkung aber völlig identisch sein.

Wollen Sie in diesen Fällen auch per Fernsehbeweis tätig werden und die Entscheidung des Schiedsrichters revidieren? Können Sie sich einen Schiedsrichter vorstellen, der nach seinen Entscheidungen zur Eigenkontrolle ständig an die Seitenlinie läuft? Zumal: Der Schiedsrichter trifft seine Entscheidungen ohnehin aus Überzeugung, so dass er sich in der Regel gar nicht darüber im Klaren sein wird, falsch entschieden zu haben.

Soll also demzufolge doch ein Oberschiedsrichter eingesetzt werden, der das Ganze am Monitor verfolgt? Und wer soll dann als Oberschiedsrichter fungieren? Soll dies eine Person sein oder mehrere? Muss bei Einsatz mehrerer Personen unter Umständen erst abgestimmt werden, falls die Fernsehbilder unterschiedliche Interpretationen zulassen? Wie viele Kamera-Einstellungen sollen zu Rate gezogen werden? Wie viel Zeit steht im Extremfall zur Verfügung, um zu einer endgültigen Entscheidung zu gelangen? Denken Sie bitte auch daran, dass unterschiedliche Fernsehanstalten sehr oft unterschiedliche Meinungen vertreten, sich Experten mitunter sogar tagelang uneins sind. Auch lassen verschiedene Kamera-Einstellungen für sich genommen häufig unterschiedliche Interpretationen einer Szene zu.

Was passiert überhaupt mit dem Spiel, wenn eine Entscheidung geändert werden muss? Wird das Spiel grundsätzlich bei einer fragwürdigen Entscheidung unterbrochen oder läuft es erst einmal weiter, bis der Sachverhalt nach Sichtung der Fernsehbilder geklärt ist? Wenn das Spiel bei fragwürdigen Entscheidungen immer unterbrochen werden würde, hätte das erheblichen Einfluss auf die Spielzeit und auf den Spielfluss. Auch die Unruhe, die während der Entscheidungsfindung auf den Rängen entstehen könnte, sollte keinesfalls unterschätzt werden. Unsere Überlegungen in Bezug auf diese gesamte Problematik haben ergeben, dass die Elektronik nur bei der Feststellung der Frage, ob der Ball die Torlinie vollständig überschritten hat, sinnvoll wäre. Zu diesem Zweck müsste aber mit einem Lichtschrankensystem und speziellen Bällen gespielt werden, was eine sehr kostenintensive Angelegenheit darstellt, wie Versuche bereits gezeigt haben. Sie sehen also, Herr Buche, eine ganze Reihe von Fragen, deren Beantwortung nicht einfach ist. Dabei kann ich Ihnen versichern, dass die Schiedsrichter die Letzten wären, die sich gegen Möglichkeiten, Fehler zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren, wehren würden. Nur müssten die Möglichkeiten praktikabel und umsetzbar sein, nicht nur im Sinne der Schiedsrichter, sondern auch der Zuschauer. Solange wir aber keine praxisfähigen Vorschläge haben, werden wir – vor allem zum Leidwesen der Schiedsrichter selbst – mit der einen oder anderen Fehlentscheidung weiter leben müssen.

— Hellmut Krug ist Leiter der SchiedsrichterAbteilung beim Deutschen Fußball-Bund (DFB).

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