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Meinung: Was bleibt als Grundlage menschlicher Zivilisation?

Leserbrief zum Artikel „Die Natur der Seele“ vom 31.August Der Artikel wirft viele Fragen auf.

Leserbrief zum Artikel „Die Natur der Seele“ vom 31.August

Der Artikel wirft viele Fragen auf.

1. Sind Darwins Zufallsmutation und natürliche Auslese tatsächlich die einzigen Faktoren, die die Evolution aller Lebewesen und ihrer zahllosen Erscheinungsformen adäquat erklären. In einer Zeitschrift unter dem Titel „Ein Dogma fällt“ war Folgendes über Richard Dawkins, dessen Thesen der Artikel widerspiegelt, zu lesen. „Während Dawkins noch mit Verve gegen wissenschaftsfeindliche Kreationisten und Anhänger des sogenannten intelligenten Designs vorgeht, schreitet die Wissenschaft selbst mit Hochgeschwindigkeit voran ... Und entdeckt neue Hinweise, dass die Gene im Mikrokosmos des Lebens keinesfalls die alleinigen Herrscher sind. Das Wechselspiel von Umwelt, Verhalten und Erbgut – ist noch viel komplexer, als bisher schon angenommen.“

Zufall und Auslese bei simplen Veränderungen ist evident. Sind es wirklich die einzigen Faktoren bei der Entwicklung höchst komplexer Systeme, wo Einzelschritte überhaupt keinen evolutionären Vorteil bieten, und die erst im präzisen, gleichzeitigen Zusammenkommen von Tausenden von Faktoren, operativ und damit für die Evolution sinnvoll werden? Lässt nicht die Entdeckung einer immer größeren Komplexität aller Lebensvorgänge die Darwinsche Theorie doch eher simplistisch erscheinen?

2. „Unser Ich wird vom Gehirn hervorgebracht ebenso wie all unsere Gedanken“. Wer bewegt denn da was, der Gedanke die Gehirnzellen, oder das Gehirn das Denken? Und ... wenn Gott, unser Selbstbewusstsein, Gedanken und Gefühle nur eine vom Gehirn fabrizierte Illusion sind, gilt das ebenfalls für die Mathematik, für alle Wissenschaft, für Darwins Theorie, auch für Ihren Artikel? Alles nur imaginäre Produkte im Dienste der Artenerhaltung? Und wo kommt dieses oberste Evolutionsgesetz, das ja schon in der ersten lebenden Zelle steckte, und der Rest der Naturgesetze, die wir entdecken, aber nicht schaffen, überhaupt her?

3. Sollten wir nicht besser die Konsequenzen darwinistischer Theorie bis zu Ende durchdenken, bevor wir sie propagieren? Es ist ja nicht nur, dass wir um ein paar Illusionen ärmer würden. Der beschriebene Sozialdarwinismus rechtfertigt und fordert gerade auf zur Eliminierung „unterentwickelter“ Bevölkerungsgruppen, zur Beseitigung behinderter Menschen und zur Abschaffung der Menschenrechte und aller Gesetze und Gerichte, denn der Stärkere hat die Evolution auf seiner Seite und damit das Recht, ja sogar die Pflicht, den Schwächeren auszumerzen, um sie voranzubringen. Was bliebe dann als Grundlage menschlicher Zivilisation und Kultur?

Die Physiker sind bescheidener geworden und geben die Unmöglichkeit zu, die eine große Weltformel, die alles erklärt, finden zu können. Könnte sich nicht die Überzeugung vieler Biologen, vor allem der popularisierenden Subspezies, mit Darwin die eine magische Formel für den Ursprung und das Ziel allen Lebens gefunden zu haben, als die größere Illusion herausstellen, vor allem wenn sie nicht die Erhaltung, sondern den Untergang der Spezies fördert.

Wolfgang Schonecke, Berlin-Wedding

Sie preisen die Evolutionstheorie Darwins. Wofür? Die Antwort geben Sie dem Leser mit zirkulärer Logik: „Darwins Evolutionstheorie kann die Komplexität der Natur aus sich heraus erklären“. Aha. Darwin also fand die Natur „komplex“, und das „erklärt“ sich, so fand er, „aus sich heraus“? Auf solcher Grundlage soll, meinen Sie, das uralte Menschheitswissen von Gott, Seele und Unsterblichkeit beerdigt werden? Lesen Sie Mathias Schreibers „Was von uns bleibt“, und beklagen Sie mit allen nachdenklichen Lesern die anmaßende Oberflächlichkeit Ihres ideologisch-materialistischen Pamphlets.

Ed Dellian, Berlin-Zehlendorf

Das eigentliche Christentum, das auf dem Judentum basiert, ist m. E. durchaus mit den Erkenntnisen Darwins in Einklang zu bringen. Was ist die Seele? Beim Lesen besonders des alten Testaments fällt auf, dass auch Tiere eine Seele haben. Das Blut wurde auf die Erde gegossen, damit diese zu Gott zurückkehren kann. Die Seele wird als Lebenskraft gesehen. Tote Materie lebt nicht, es ist eine Kraft nötig, die kein Mensch schaffen kann. Das Leben in seinen vielfältigen Formen wird im AT besungen. Auch die Tiere werden in dieses Heilswerk selbstverständlich hineingenommen (Ps. 36, 148, 50, 104, Röm 8, 19 - 22 ...). Eine „unsterbliche“ Seele gibt es in der christlichen Bibel nicht. Es gibt ein Sterben – und ein Auferstehen, das Gott, der Schöpfer des Lebens bewirkt. Diese Auferstehung ist ein Geheimnis. Vielleicht ist sie sogar natürlich zu begreifen: In der Natur sehen wir, dass jedes Leben recycelt wird.

Erst in der Rezeption durch die griechische Philosophie und Vermischung mit dem Mythos der Gnosis, der die Schöpfung – im Gegensatz zur Bibel – als schlecht darstellt, erfolgte die Abwertung des Leibes, der Tiere, der Frauen und auch zum Teil der Juden. Das menschliche Denken wurde glorifiziert, die Seele als unsterblich dargestellt. Die Überbewertung der eigenen Art liegt im Menschen (Egoismus) und der Art des Menschen (Art-Egoismus). Es gibt aber keinen biologischen oder empirischen Grund, anderen Tieren weniger Wert zuzumessen als uns. Auch das steht schon in der Bibel: Prediger 3, Vers 19 - 22: „...Der Mensch hat nichts voraus dem Tier.“

Wir sollten uns endlich danach richten.

Elisabeth Petras, Hamburg

Dieser Artikel von Bas Kast war das Beste, was ich seit 10 Jahren Abo des Tagesspiegel (und auch sonst) zu diesem Thema zu lesen bekommen habe! Verständliche Sprache, klare Gedankenführung und eine überzeugende Darlegung dieser (auch schon anderswo gedachten) Überlegungen. Das hätte m. E. eine beständigere Manifestation verdient als die (leider!) oft zu schnell vergessenen Beiträge einer der herausragenden deutschsprachigen Zeitungen.

H. J. Goeres, Meckenheim/Rhld

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