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Meinung: Was sollen die Krokodilstränen für Karstadt?

„Handel im Wandel – Die Stadt als Verführerin“ vom 10. Oktober 2004 In der Sonntagsausgabe lese ich einen Artikel – Hintergrund: Karstadt (fast) Pleite und die drohende Verödung der Innenstädte.

„Handel im Wandel – Die Stadt als Verführerin“ vom 10. Oktober 2004

In der Sonntagsausgabe lese ich einen Artikel – Hintergrund: Karstadt (fast) Pleite und die drohende Verödung der Innenstädte. Dazu möchte ich als Betroffener – seit 1970 selbstständiger Einzelhändler – einige Bemerkungen machen: Ich empfinde Ihre Äußerungen eher als Krokodilstränen, denn seit mindestens zwanzig Jahren geht es gerade im Berliner Einzelhandel kontinuierlich bergab. Abzulesen an den steigenden Pleiten in dieser Branche. Gerade seit dieser Zeit. Von zirka 40 Einzelhändlern in meiner Branche – Sporteinzelhandel – haben mindestens 30 aufgegeben.

Ich kann mich noch gut erinnern, als Anfang der neunziger Jahre die Immobilienpreise auf Grund der Wiedervereinigung sich plötzlich verdreifachten und jede Menge Einzelhändler aufgaben, die Diskussion in der Öffentlichkeit geführt wurde über eine Gesetzesänderung dahingehend, dass auch bei Gewerbemieten der Hauswirt nicht über Nacht die Miete derart anheben kann. In den letzten Jahren sind immer wieder neue „Sargnägel“ für den Einzelhandel dazugekommen, z.B. Öffnungszeiten möglichst auch an Sonntagen. Die bringen ausschließlich den Großen etwas. Das fallende Rabattgesetz, das ohnehin in der Praxis eine Lachnummer war, hat weitere Verschlechterungen gebracht, denn es ist doch wohl klar, dass jeder Rabatt die Rendite verringert. Und die ist ohnehin auf Grund des Konkurrenzdrucks eher schmal. Die ständige Eröffnung von Einkaufszentren in den letzten zehn Jahren, Verkaufsfläche, die kein Mensch benötigt, ist eine weitere tödliche Bedrohung. Fakt ist, dass die Bundesrepublik z.B. fast vierzig Prozent mehr Einkaufsfläche hat als England.

Kai Hamburg, Berlin-Wilmersdorf

Sehr geehrter Herr Hamburg,

Sie haben vollkommen Recht: Der Einzelhandel befindet sich in einem tiefgreifenden Strukturwandel – und das nicht nur in Berlin. Die Gründe hierfür sind vielschichtig: Ein verändertes Verhalten der Kunden, mangelnde Kaufkraft und das kontinuierliche Wachsen der Verkaufsflächen stehen im Vordergrund. Aktuell beobachten wir zusätzlich eine räumliche Konzentration von erfolgreichen Einzelhandelsstandorten auf zentrale Innenstadtlagen. Gleichzeitig lassen sich neue, erfolgreiche Betriebstypen wie Fachmärkte und Discounter am liebsten an verkehrsgünstigen Standorten nieder. Das neue Konzept des Berliner Stadtentwicklungsplans „Zentren und Freizeit“, an dem wir intensiv mitgewirkt haben, geht auf diese Herausforderungen ein: Großflächiger Einzelhandel soll möglichst in bestehende Einkaufsbereiche integriert werden – und nicht auf die „grüne Wiese“ abwandern.

Hier bieten sich gerade auch die in naher Zukunft frei werdenden Karstadt-Gebäude für eine Nutzung an. Und was die Gewerbemieten betrifft: Sie bestimmen sich nach Angebot und Nachfrage und sind frei verhandelbar.

Aber nach meinem Eindruck findet bei den Vermietern augenblicklich ein Umdenkungsprozess statt: Nur marktgerechte Mieten und keine längeren Leerstände sichern mittelfristig den Standort und damit den Wert eines Objektes.

Sie schildern auch, dass Ihnen die verlängerten Ladenöffnungszeiten und die jetzt gesetzlich zulässige Möglichkeit, Kunden Rabatte einzuräumen, Sorge bereiten. Ich weiß aus vielen Gesprächen mit Händlern, wie viel Kraft die Einstellung auf die neuen Rahmenbedingungen vom Einzelnen fordert. Diese Veränderungen bieten aber auch eine Vielzahl von Chancen, die übrigens sehr unterschiedlich genutzt werden. Wir plädieren für eine Stärkung der Standortgemeinschaften, gemeinsam geht es erheblich besser!

Auch die gemeinsam von IHK und Senatsverwaltung für Stadtentwicklung konzipierte Initiative „Mittendrin Berlin“ wird neue Impulse für die Entwicklung der Berliner Zentren geben. Gerade in konjunkturell schwierigen Zeiten ist die Politik gefordert, die Wirtschaft von bürokratischen Hemmnissen zu erlösen und wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen zu setzen. So variierte die bisherige Auslegungs- und Genehmigungspraxis zum Ladenschluss in den verschiedenen Bundesländern, aber auch von einem Bezirk zum anderen, teilweise so stark, dass dies zu Wettbewerbsverzerrungen führte. Auch die umfänglichen Ausnahmebestimmungen für Bahnhöfe, Flughäfen und Tankstellen benachteiligten den traditionellen Handel.

Die jetzt entschiedene Flexibilisierung der Ladenöffnungszeiten erweitert nach meiner Einschätzung gerade den Handlungsspielraum der kleinen Händler. Denn sie können ihren Laden dann geöffnet halten, wenn die Kundenfrequenz und damit die Chancen für Umsatz und Gewinn am höchsten sind – und sie können Ihren Kunden zielgruppenorientierte Vergünstigungen gewähren. Die Einkaufsgewohnheiten der Menschen haben sich geändert. Und ich finde es richtig, dass gesetzliche Regelungen diesen angepasst werden – und nicht umgekehrt.

— Christian Wiesenhütter ist stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK Berlin.

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