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Meinung: Wir haben unseren Wohlstand halten können

Zur Berichterstattung über die jüngstenTarifabschlüsse und die geplante Rentenerhöhung Die lohn- und rentenpolitische Diskussion ist durch die Forderung geprägt, dass uns allen Einkommenssteigerungen im Umfang der Inflationsrate zustünden. Das wäre früher immer so gewesen.

Zur Berichterstattung über

die jüngstenTarifabschlüsse und

die geplante Rentenerhöhung

Die lohn- und rentenpolitische Diskussion ist durch die Forderung geprägt, dass uns allen Einkommenssteigerungen im Umfang der Inflationsrate zustünden. Das wäre früher immer so gewesen. Ohne diesen Ausgleich ginge es uns schlechter – trotz Erhöhungen der Löhne und Renten seien die Realeinkommen in den letzten Jahren nicht mehr gestiegen.

Was läuft schief, dass dieser Inflationsausgleich immer schlechter gelingt? Ich sehe fünf Gründe:

1. Früher konnten wir unseren Individualwohlstand mehren, indem wir zu Lasten der natürlichen Umwelt produzierten. Das geht nicht mehr; die Kosten für die Reinhaltung von Luft, Wasser und Boden gehen preissteigernd in die Güterpreise ein.

2. Früher konnten wir die natürlichen Ressourcen beliebig ausbeuten. Spätestens seit dem Club of Rome wissen wir, dass diese Rohstoffe – z. B. die Öl- und Gasreserven – endlich sind. Ihre Knappheit bei weltweit wachsender Nachfrage erhöht die Preise und erfordert aufwendige energiesparende Technologie.

3. Früher konnten wir den gegenwärtigen Verbrauch an kollektiven Gütern billig genießen, indem wir durch die wachsende Verschuldung bei Bund, Ländern und Gemeinden die nachwachsende Generation mit Schuldendienst und damit Bezahlung unserer billigen Krankenhäuser und Schwimmbäder belasteten. Das geht auch nicht mehr, wir müssen den vollen Preis entrichten.

4. Früher konnten wir die billige Arbeitskraft einer Milliarde Menschen in Form niedriger Preise von Rohstoffen und Fertigerzeugnissen ausbeuten: „Wer billige T-Shirts kauft, enthält anderen Lohn vor.“ Das lassen sich die Völker in China, Indien und anderswo nicht mehr bieten. Sie verlangen von uns „internationale Solidarität“, höhere Entgelte und größeren Anteil am Reichtum der Erde.

5. Früher konnten wir technische Vorsprünge – monopolartig patentgeschützt – über Jahre fast konkurrenzlos ausnutzen und uns die hohen Löhne ausbezahlen, die wir dem Rest der Menschheit vorenthielten. Jetzt erleben wir in der zusammenwachsenden Welt die „fast diffusion of technologie (IWF)“, die Konkurrenz der Schwellenländer auf unseren angestammten Märkten und den Druck auf unsere höheren Löhne.

Gegen wen richtet sich der Anspruch? Wer muss die Konstanz des Wohlstands – den Inflationsausgleich – bezahlen? Die arbeitende Generation den Rentnern? Die Unternehmen den Arbeitern? Die Verbraucher den Unternehmern? Die Steuerzahler dem Staat? Oder schaffen wir das nur durch insgesamt höhere Produktivität, durch mehr Wertschöpfung aufgrund großer Investitionen in Bildung und Technologie?

Seit 1995 sind tarifliche Stundenlöhne und Arbeitsproduktivität fast im Gleichklang gestiegen: Löhne plus 23,2 Prozent, Produktivität plus 20 Prozent (iwd 9/2007). Real hat sich der Wohlstand aber nicht verändert. Ist die Flasche nun halb voll oder halb leer? Man kann es positiv sehen: Obwohl wir Umwelt, kommende Generationen und Dritte Welt nicht mehr ausbeuten können, haben wir unseren Wohlstand halten können.

Prof. Dr. Michael Tolksdorf,

Berlin-Hermsdorf

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