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Meinung: Zwanzig Minuten aus der Praxis

Betrifft: „Ausnahmen ohne Regel“ vom 14. Januar 2004 Patient M.

Betrifft: „Ausnahmen ohne Regel“ vom 14. Januar 2004

Patient M., 70 Jahre, humpelt rein. Schweres kortisonpflichtiges Asthma. Wirbelkörperbrüche durch Osteoporose aufgrund der langjährigen Kortisontherapie. Beim letzten Krankenhausaufenthalt wurde ihm eine stabilisierende Operation der Wirbelsäule angeraten. Er hat Angst, dabei an Asthma zu sterben.

Dr. F., mein Kompagnon, kommt rein: „Was meinst Du? Patientin war wegen einer Bronchitis in der Rettungsstelle im Krankenhaus und wünscht die Weiterbehandlung bei uns. Muss sie 10 Euro bezahlen?“ Nachdem wir uns seit Tagen durch Telefonate, Informationsschriften und Patientengespräche mit diesen Fragen herumplagen, kann ich helfen: Im Tagesspiegel habe ich gelesen, dass sie nicht muss – denn: Sie ist wegen derselben Krankheit hier.

Ich entschuldige mich bei Herrn M. für die Unterbrechung und konzentriere mich wieder auf ihn. Die Kortisondosis wird festgelegt. Ich rate zur OP, für den Fall, dass der Narkosearzt das Risiko auch für vertretbar hält. Der Kollege ruft aus dem Nebenzimmer an: „Was machen wir jetzt? Die Patientin von vorhin möchte einen Überweisungsschein zum Gynäkologen.“ – „Dann muss sie erst 10 Euro zahlen!“ – „Das erklär ihr mal!“

Weiter mit Herrn M. Er ist ein kleiner Rentner, auch seine Frau hat mehrere chronische Krankheiten. Ich sage ihm, dass er sein Medikament jetzt selber kaufen müsse, da es nicht rezeptpflichtig sei.

Die Arzthelferin kommt rein mit einem Rezeptwunsch einer 16-jährigen Asthmatikerin. Ich will das Rezept ausdrucken und kann den roten Balken auf dem Bildschirm kaum glauben: Keine Verordnung zu Lasten der Kasse, das Mittel ist nicht rezeptpflichtig. Vermutlich ist mein Blutdruck jetzt 180/110. Die Arzthelferin fragt, was sie der Jugendlichen sagen soll.

Jetzt wieder zu dem geduldig und bedrückt wartenden Herrn M. Versuch, ihm ein bisschen Mut für die Operation zu machen. Er humpelt raus – ich nehme die nächste Karteikarte vom Schreibtisch.

Peter Heidbüchel, Berlin-Neukölln

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