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Der Laden des Berliner NPD-Chefs kurz vor der Eröffnung im Sommer 2011.

© Thomas Loy

Leserkommentar: Es ist völlig unangebracht, von einem Rechts-Links-Konflikt zu sprechen

Kati Becker und Hans Erxleben widersprechen unserer Berichterstattung zur Eröffnung des Neonazi-Ladens "Hexogen" in Schöneweide. Das Engagement gegen Neonazis gehe nicht von Extremisten aus.

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit Unverständnis haben wir besagten Artikel am 3.7.2011 auf der Internet- und Printseite des Tagesspiegels wahrgenommen. Einerseits diskreditiert er das notwendige zivilgesellschaftliche, demokratische Engagement im Ortsteil Schöneweide und verharmlost auf der anderen Seite, dass der NPD-Vize Berlins einen Laden eröffnet, der eine klare rechtsextreme Ausrichtung hat und das in einem Ortsteil, der Wohnort und Aktionsschwerpunkt für Rechtsextreme in Berlin ist.

Extremisten“ und der „Rechts-Links-Konflikt“

Mit der Überschrift „Frontlinie der Extremisten - Neuer Neonazi-Laden in Schöneweide verschärft den Rechts-Links-Konflikt“ suggerieren Sie, es würde sich um einen Konflikt von „Extremisten“ handeln, der durch den neuen Laden in Schöneweide verschärft würde. Das ist schlichtweg falsch. Es gibt demokratische und zivilgesellschaftliche Initiativen aus vielen gesellschaftlichen Bereichen, die sich im Bezirk Treptow-Köpenick engagieren, insbesondere in Schöneweide. Sie bezeichnen die dort Aktiven als „Linke“ oder „Extremisten“. Zur Situation in Schöneweide: Der öffentliche Raum um den S-Bahnhof Schöneweide ist seit vielen Jahren von Neonazis dominiert, die dort Menschen anpöbeln oder verprügeln, die entweder nicht „deutsch“ aussehen, Behinderungen haben oder als politische Gegner wahrgenommen werden. Die Anzahl der Angriffe variiert in den letzten Jahren und war mittlerweile etwas zurückgegangen. Mit der Eröffnung der Kneipe „Zum Henker“ 2009 stiegen diese Angriffe wieder an und sie gingen vom Publikum der Kneipe aus. Erst nachdem das bezirkliche Bündnis für Demokratie, Behörden und Polizei gegen die Kneipe vorgingen, ließen die Angriffe nach.

In den letzten Monaten ist diese Situation wieder gekippt. Neben großflächigen Sprühereien, die den Nationalsozialismus verharmlosen oder sogar fordern („NS-Jetzt“, „Baut mehr KZs“) die Andersdenkende einschüchtern sollen („No-Go-Area“, „Anti-Antifa“), die an verschiedenen Einrichtungen, wie einem Jugendclub, dem Büro der Partei die LINKE oder dem Zentrum für Demokratie Treptow-Köpenick gesprüht werden, bedrohen Neonazis Menschen in Schöneweide, die sie als politische Gegner wahrnehmen. Zuletzt traf es sogar Zivilbeamte der Polizei.

Wir sehen uns zur Zeit einer Situation in Schöneweide gegenüber, in der Neonazis den öffentlichen Raum für sich beanspruchen und dies mit Gewalt durchsetzen wollen. Demokratische Interventionen dagegen sind absolut notwendig und haben nicht das Geringste mit „Linksextremismus“ zu tun, sondern mit Zivilcourage. Es ist völlig unangebracht von einem Rechts-Links-Konflikt zu sprechen. Stattdessen sollte man von einem Konflikt zwischen Demokratie und Neonazis sprechen.

Auf Seite 2: Informationen zum neuen „Neonazi-Laden“

Informationen zum neuen „Neonazi-Laden“

Wie Sie selbst schreiben, wird der neue Laden von Sebastian Schmidtke betrieben, der Landesvize der NPD ist und von der Polizei als treibende Kraft bezeichnet wird. Mit diesem Wissen allein ist es schon verharmlosend zu schreiben „Ob man schon mal gucken darf? „Klar, komm rein.“ Die Nazishop-Jugendlichen sind nette, höfliche Menschen ohne Argwohn.“.

Die vermeintlichen netten und höflichen Jugendlichen sind Erwachsene, die wie im Fall von Sebastian Schmidtke so gut wie jede Neonazi-Demonstration in Berlin anmelden. Mit großer Wahrscheinlichkeit betreibt er auch die Internetseite nw-berlin.net. Auf dieser Internetseite findet man politische Gegner und Gegnerinnen und Einrichtungen, die die Neonazis als linke Einrichtungen ausgemacht haben. Viele Personen, die auf dieser Liste stehen, haben in den vergangenen Jahren Morddrohungen von Neonazis erhalten. An fünf der aufgeführten Einrichtungen wurden am vergangenen Wochenende Brandanschläge verübt. Sebastian Schmidtke steht in enger Verbindung mit dieser Internetseite, wie sie dem folgenden Aufkleber entnehmen können:

Der neue Laden kann nicht unabhängig von den Funktionen seines Betreibers gesehen werden. Sebastian Schmidtke ist nicht nur NPD-Vize Berlins, sondern auch umtriebiger Neonazi, der eine andere, anti-demokratisch geprägte Gesellschaftsordnung anstrebt. Insofern stellt der neue Laden einen Ausbau ohnehin vorhandener rechtsextremer Strukturen in Schöneweide dar, die den Ortsteil Schöneweide als ihr Rückzugsgebiet betrachten.

Thomas Loy hat das Sortiment des Ladens zwar beschrieben, es liest sich aber verharmlosend: „Das Hexogen-Sortiment ist noch dürftig: T-Shirts für Hardcore-Biker (Choppers Death), für Paintball-Spieler (Leute, die sich mit Farbkugeln beschießen), Barbecue-Fackeln, Springerstiefel und Camouflage-Hosen plus Kampfrucksack fürs paramilitärische Outdoor-Training. Fahrradtaschen sind im Angebot, ein Bundeswehr-Klappspaten und eine „Combat“-Schutzweste. Auch Landser-Romantik wird bedient, mit colorierten Zeichnungen von Feldzügen der Wehrmacht.“. Man hätte in diesem Zusammenhang recherchieren können, dass „Hexogen“ ein Sprengstoff ist, der im Zweiten Weltkrieg verwendet wurde. Die Betreiber des Ladens bieten paramilitärische Ausrüstung unter dem Namen eines Sprengstoffs an und sie vertreten dabei eine Ideologie, die den historischen Nationalsozialismus verharmlost.

Auf Seite 3: Die Interviewpartnerinnen aus dem SpreelacArt

Die Interviewpartnerinnen aus dem SpreelacArt

Mit dem Abschnitt zum SpreelacArt werden gleich zwei erfolglose Strategien in der Auseinandersetzung mit Neonazis beispielhaft genannt, das „Ignorieren“ und das „Verbrüdern“: „Neben dem „Hexogen“ liegt die Galerie SpreelacArt vom Verein Kulturwerk Schöneweide. Am Tresen unterhalten sich zwei Frauen über ihre Neonazi-Erfahrungen. Das Pöbeln im Vorbeigehen sei schlimmer geworden, seit die NPDler hier Flagge zeigen, sagt die Cafébetreiberin, aber sie höre da einfach nicht hin. Die andere Frau erzählt vom „Henker“, dass sie dort schon mal Cocktail getrunken habe, einen „Himmler“ mit Himbeergeschmack und dass es sich noch auszahlen werde, ein paar ältere Neonazis zu kennen, die einen in Schutz nehmen gegen die jungen Nazischläger, die schnell durchdrehen würden, wenn sie was getrunken hätten.“

Anstatt diese Bemerkungen in irgendeiner Art zu kommentieren, lassen Sie sie einfach nur so stehen. Dabei enthalten sie fatale Schlussfolgerungen. Eine, man müsse Neonazis ignorieren, selbst wenn sie mit Gewalt den öffentlichen Raum erobern und die andere, man könne sich vor Angriffen schützen, in dem man durch das Trinken eines „Himmlers“ suggeriere auf der Seite der Neonazis zu stehen. Dabei lassen Sie es unkommentiert stehen, dass die Dame es als völlig normal ansieht, dass man früher oder später bepöbelt würde oder gar angegriffen. Für Berlin als Großstadt, ist diese Situation ein Skandal.

Dass Sie den Artikel mit einem „hoffnungsvollen“ Zitat der Rechtsextremen enden lassen, ist in dem ohnehin verunglückten Beitrag ein zusätzliches Übel: „Viele Läden stehen hier leer, seit das „Schöneweide-Center“ die ohnehin schwache Kaufkraft auf sich zieht. Outdoor, Camping und Military, dafür gebe es aber genügend Kundschaft, sagt die blonde Frau vom Hexogen.“

Wir sind der Meinung, dass dieser Artikel die Situation in Schöneweide völlig falsch darstellt, dass er die notwendige Arbeit demokratischer Akteure diskreditiert und das strategische und gewalttätige Vorgehen von Rechtsextremen gegen eine demokratische Gesellschaft verharmlost. Wir bitten um eine Richtigstellung der Situation und stehen für Rückfragen zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen,

Kati Becker, Mitarbeiterin im Zentrum für Demokratie Treptow-Köpenick und Koordinierung des Registers zur Erfassung rassistischer, antisemitischer, homophober und rechtsextremer Vorfälle in Treptow-Köpenick

Hans Erxleben, Sprecher Bündnis für Demokratie und Toleranz Treptow-Köpenick

Neben uns, den bezirklichen Akteuren, teilt auch die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin diese Einschätzung und steht für Rückfragen zur Verfügung.

Hans Erxleben, Kati Becker

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