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Leserkommentar: Auch Radler müssen sich an Regeln halten

Chancengleichheit im Straßenverkehr? Für Tagesspiegel-Leser Jürgen Mann bedeutet dies auch, dass sich Radfahrer an die Regeln der Straßenverkehrsordnung halten und nicht ungebremst durch Spielstraßen donnern.

Sehr geehrter Herr Hesselmann,

die Häufung von Artikeln, die das Leid von Fahrradfahrern im Berliner Stadtverkehr beinhalten, nervt langsam. Ich bin selber multimobil und finde Verkehrsregeln sinnvoll, da antidarwinistisch. Sie schreiben, dass die Geschwindigkeit das Ausdrucksmittel des Stärkeren sei. Kann man so sehen, greift aber zu kurz. Es kommt darauf an, was man unter Stärke versteht. Der Stärkere ist doch eher der, der Gestaltungsspielraum bei der Wahl seiner Wege hat. Alle Gattungen von Verkehrsteilnehmern eint doch, dass man möglichst schnell von A nach B kommen möchte. Deshalb sind ja auch die Radfahrer auf den für sie nicht zugelassenen Wegen unterwegs, nicht etwa, weil sie die Straße fürchten.

Kommen wir zur Chancengleichheit, die mitnichten dadurch hergestellt würde, dass alle Gattungen nun mit Tempo 30 unterwegs wären. Chancengleichheit bestünde erst, wenn auch Fahrradfahrer, ähnlich wie Autofahrer, identifizierbar wären. Wir haben keinen Darwinismus auf den Straßen, weil Autos mit Kennzeichen versehen sind und jeder Verstoß potentiell zu ahnden ist. Man stelle sich vor, Rotlichtverstöße seitens der Radfahrer würden geahndet werden.

Eine schöne Studie zum Thema Recht des Stärkeren ergibt sich bei der Beobachtung von Spielstraßen. Während die meisten Verkehrsteilnehmer bremsen, donnern die Fahrradfahrer ungebremst durch diese Straßen. Nicht einer fährt im Schritttempo! Auf meine Anfrage bei der Berliner Polizei ergab sich die Antwort, das Problem sei bekannt, Schritttempo gelte auch für Radfahrer, nur sei man nicht in der Lage, Radfahrer dort zu kontrollieren. Soviel zur Chancengleichheit.

Chancengleichheit würde auch erst bestehen, wenn Fahrradfahrer auch nur eine Ahnung hätten, was die Kürzel StVO bedeuten könnten. Bei einer Umfrage unter Ihren Bekannten und Freunden ist das Wissen um die relativ neuen Fahrradangebotsstreifen im Stadtgebiet ganz sicher bei einem Prozent und nicht darüber angesiedelt. Kein Radfahrer weiß, dass man diese Streifen nicht mit Fahrradwegen verwechseln sollte und diese neuen Streifen durchaus auch mit dem Auto befahrbar sind.

Ich weiß nicht, wie ein Gutachter auf den Gedanken kommt, bei Tempo 30 sei man genauso schnell unterwegs wie bei Tempo 50. Das ist doch einfachste Mathematik, dass die Verweildauer um 66% steigt! Flächendeckendes Tempo 30 bedeutet auch einen höheren Schadstoffausstoß. Die Bemerkung von Frau Junge-Reyer, die Automobilindustrie müsse sich eben umstellen, hat zum einen dort kaum Zugang gefunden, belegt aber auch, dass der Ausstoß höher ist als beim alten Verfahren von Tempo 50. Man kann das alles wollen, muss aber auch die Begleitumstände benennen (dürfen!).

Flächendeckendes Tempo 30 ist teuer. Die unter Zeitdruck stehenden Pflegekräfte mit ihren Kleinstwagen sind länger unterwegs. Das verteuert entweder den Pflegeaufwand oder verkürzt die Pflege. Auch das sollte man nicht verschweigen. Busse werden langsamer, Taxen ebenso, Handwerker, Zulieferer usw.. Woher nehmen Sie die Forderung nach angstfreien Bewegungsräumen?

Die Unfallzahlen im Straßenverkehr stehen nicht an erster Stelle aller Unfälle. Auf dem ersten Platz stehen Unfälle im Haushalt, verursacht durch Strom, Leiterstürze, Maschinen und Messer. Wie macht man aus einem Haushalt einen angstfreien Bewegungsraum? Verringerung von Watt, Volt und Ampere? Gestutzte Leiterhöhen? Stumpfe Messer? Man kann im Leben nicht alles regeln, ein gewisses Maß an Lebensrisiko hat jegliche Bewegung. Leider auch bei Kindern. Diese sind ja die eigentlich Leidtragenden der Diskussion, ob Fahrradfahrer auf die Straße gehören. Möchten Sie es einem 13-jährigen Kind tatsächlich zumuten, unter den Yorckbrücken, gerne auch bei Tempo 30, zu fahren? Dann sollte es auch so gesagt werden.

Mir scheint die Diskussion um mehr Rechte für Fahrradfahrer nicht um ein friedliches Miteinander zu gehen, sondern um Privilegien von und für eine kleine Gruppe von männlichen Radfahrern zwischen 20 und 40 Jahren. Wie kommen Sie darauf, dass ein flächendeckendes Tempo-30-Stadtgebiet eine Verringerung des Schilderwaldes zur Folge hätte? Die zuständigen Tiefbauämter haben doch schon seit Jahren kein funktionierendes Kataster ihrer Straßenverkehrsschilder mehr. Dort weiß man doch gar nicht, wer wann welche Schilder aufgestellt hat. Aber das ist wieder ein anderes Thema.

Mit freundlichen Grüßen,

Jürgen Mann

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Jürgen Mann

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