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Auch Ostdeutsche, die in den Westen gegangen sind, tragen zum Länderfinanzausgleich bei, sagt unser Leser Lutz Rackow.

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Leserkommentar: Ostdeutsche Zuwanderer tragen zu Länderfinanzausgleich bei

Noch immer sind die Folgeschäden der deutschen Zwangsteilung nicht behoben, sagt unser Leser Lutz Rackow. Auch deshalb sind viele leistungsfähige Ostdeutsche in den Westen gegangen, vor allem nach Bayern und Baden-Württemberg - und dort finanzieren sie den Länderfinanzausgleich mit.

Trotz der gigantischen Investitionen zu Lasten der Bundeskasse und der gesamtdeutschen Solidarbeiträge der Steuerzahler persönlich sind die elementaren Schäden und Folgeschäden der deutschen Zwangsteilung und Wiedervereinigung östlich von Elbe und Werra bis jetzt noch immer nicht behoben. Alles gesamtdeutsche Kriegsschäden! Jahrzehntelang ist diese historische Aufgabe von der allein freien deutschen Bonner Teilrepublik BRD, im Sinne ihrer Alleinvertretungspflicht gemäß Grundgesetz für das ganze Restdeutschland, erklärt und parteiübergreifend - inklusive CSU - beschworen worden.

Die bis zum Mauerfall über ein Menschenalter andauernde umfassende Deformierung Ostdeutschlands, in innerer Diktatur und Satellitenschaft der Siegermacht Sowjetunion wog und wiegt noch heute viel schwerer, als alle Etathilfen. Was weiterhin per Länderfinanzausgleich aufzubringen ist, das reicht außerdem auch deshalb noch immer nicht aus, weil die gesamtdeutsche Wiedervereinigungspolitik ohne vorgedachte Konzepte die Deindustrialisierung des Ostens, weit über ein unvermeidliches Maß, nicht abgewendet hat. Mit Geld und Marktwirtschaft allein funktioniert es eben nicht.

So wurden die Teilerfolge wegen der neuen, massenhaften Abwanderung leistungsfähiger und -williger, hoch produktiver Kräfte (Produktionselement Arbeit) nicht ausgebaut. Sie gingen, weil sie ihre so lange vorenthaltenen persönlichen Freiheit, Selbstbestimmung, Freizügigkeit mit dem endlich errungenen Rechten auf Selbstverwirklichung für jeden Einzelnen wahrgenommen haben. Aber auch, weil Zuhause für viele nur wenige Chancen verblieben sind und kaum welche absehbar waren.

Mezzo Giorno lässt grüßen

Eine Revitalisierung werteschaffender Prozesse kam bei weitem nicht zustande. Folgen waren: Umfassende Vergreisung Ostdeutschlands, andauernde Territorialflucht, massenhafte Zusammenbrüche noch wiederbelebbarer, über Generationen gewachsener, einst mittelständischer Wirtschaftsstrukturen. Stattdessen verlängerte Ladentische, blinde Verschleuderung durch eine inkompetente "Veruntreuungs-Anstalt" in parteiübergreifender Komplizenschaft und vieles mehr.

Was waren und sind indessen im Land zwischen Werra und Oder aber verblieben: Die Vorlasten durch Erziehungs- und Ausbildungskosten, demoskopisch asymetrische Sozialkosten aller Art. Im "Neuland" herrschte scharfer Wettbewerb in der Fläche durch bedarfsgerecht natürlich hereindrückende, hocheffektiv trainierte Konkurrenz. Diese wurde jahrzehntelang im Westen des Landes in strammer Marktwirtschaft entwickelt und gestählt. Man war in der Lage, auch länger andauernde Startverluste zu ertragen. Nicht zuletzt durch vielfältige, listige Quersubventionen. Dementsprechend überlegen war man bei jeder Ausschreibung. Vorherige noch vorhandene Standortstrukturen, inklusive bodenständiger Fachkompetenz, zerbrachen massenhaft. Schutzfunktionen wurden nicht installiert, Warnungen und konstruktive Ideen von hochgeachteten Leuten, wie Professor Kurt Biedenkopf, Klaus von Dohnany, Lord Dahrendorf u.a. wurden ignoriert.

Heutzutage wird der Länderfinanzausgleich zu einem gewiß nicht geringen Anteil durch Leistungen unserer Kinder und Enkel ostdeutscher "Zuwanderungsherkunft" mitfinanziert. Sie füttern jetzt den Fiskus der "alten Länder" mit ihren Steuern - an ihren neuen Arbeits- und auch Wohnorten. Braucht es nun einen weiteren Länderfinanzausgleich gen Ostdeutschland? Aber Feste!

Statt also dem Wehklagen der einem halben Jahrhundert auch wesentlich durch die diversen Kräfteschübe aus dem Osten und Norden unseres gemeinsamen Heimatlandes erstarkten Länder beizustehen, wie es Albert Funk in seinem Kommentar tat (siehe hier), sollte sich der Tagesspiegel eher der gesamtdeutschen Situation widmen. Und die Bayern sollten sich immer mal wieder ihre agrarischen Strukturen erinnern. Die Gnade der bayerischen Südlage sollten sie schätzen statt zu quengeln.

Der zweite Weltkrieg endete am 3. Oktober 1990. Ohne Friedensvertrag und leider nicht früher. Erst danach konnte ein gesamtdeutscher Wiederaufbau beginnen. Was dabei anschließend schon alles verpasst wurde, ist ein anderes, hoch aktuelles Thema. Neue Konzepte sind nötig, aber darüber wird nur in "Sonn- und Feiertagsreden" schwadroniert.

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Lutz Rackow

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