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Lesermeinung: Wie weit darf Wahlwerbung gehen?

Sind Wahlplakate eine Zumutung oder demokratische Notwendigkeit? Die deutsche Tradition der stadtweiten Plakatwerbung wird von den Lesern kontrovers kommentiert.

Cüneyt Ildeniz, Berlin-Wedding:

Aufgrund der bevorstehenden Berlin-Wahlen sehen wir überall die Wahlplakate der zugelassenen Parteien. Die Inhalte sind unterschiedlich. Diese Tatsache ist gut und ist zugleich Bestandteil unserer Demokratie. Nun kann es aber nicht sein, dass die rechtsextremistische NPD Wahlplakate mit der Überschrift „GAS geben“ an Laternen befestigt. Meinungsfreiheit hin oder her. Jeder Mensch auf der Straße weiß ganz genau, was die NPD damit meint. Diese Wortspielerei dürfen wir nicht zulassen. Klar will so eine kleine Partei die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, aber nicht mit dem Einsatzmittel der Nazis, das Millionen von Menschen auf grausame Weise vernichtet hat. Wenn wir Demokraten bei diesen Aussagen nichts unternehmen, wann dann?

Frank Petters, Berlin-Neukölln:

Der Richardplatz in Neukölln ist mit mindestens sechs Großplakaten der SPD zugepflastert. An Motive ohne jegliche Aussagekraft hat man sich ja mittlerweile gewöhnt, bisher beschränkte sich das jedoch auf Mastenschilder. Ich finde es schon eine Dreistigkeit, den Anwohnern eine solche Verschandelung ihres Umfeldes zuzumuten, zumal zu befürchten ist, dass andere Parteien nachziehen. Und: Sollte der Wahlslogan „Berlin verstehen“ etwa einen Wunsch der SPD zum Ausdruck bringen? Zweifel sind angebracht.

Peter Radunski, Senator a. D., ehemaliger CDU-Bundesgeschäftsführer, Senior Advisor MSLGroup:

Liebe Tagesspiegel-Leser,

wenn Wahlen bevorstehen, kleben Plakate. Das ist Tradition in Deutschland, in Amerika sehen sie kaum Plakate im Wahlkampf. Heutzutage sind Wahlen für viele ein ziemlicher Stress. „Wen wählen?“ – diese Frage ist oft schon ein Stoßseufzer. Deshalb wird die Plakatierung der Parteien häufig als zu massiv empfunden, obwohl sie schon deshalb notwendig ist, um Wahlen anzukündigen. Vielen Berlinerinnen und Berlinern wird damit klar, es ist Wahlzeit. Laut Umfragen wissen viele noch immer nicht, dass sie wählen gehen sollen. Interessanterweise haben auch die Parteigänger das Gefühl, die anderen Parteien sind viel präsenter mit ihren Plakaten als die eigene bevorzugte.

Plakate sind Bestandteile unserer Demokratie, aber natürlich kann die Plakatierung übertrieben und sogar gefährlich werden, wenn Plakate Verkehrsunfälle provozieren, weil sie Straßenkreuzungen unübersichtlich machen. Auch historische Stätten sollten nicht mit Plakaten bedeckt sein, denken sie an das Brandenburger Tor. Aber einen Platz von der Plakatierung auszunehmen, das geht wohl nicht. Schließlich kommen hier viele Menschen zusammen, entsteht eine große Kommunikationsdichte. Sie will ja Wähler mit ihren Plakaten gewinnen und nicht abstoßen. „Motive und Aussagekraft“? Für die Wahlmanager sind Plakate sehr wichtig, werden akribisch vorbereitet und intern leidenschaftlich diskutiert, bevor sie an die Öffentlichkeit gehen. Obwohl der Wahlkampf in den Medien, im Internet, auf Veranstaltungen sowie durch Direktansprache bei Hausbesuchen, Straßenständen, mit Briefen oder Telefonanrufen sowie diversen Prospekten insgesamt wichtiger ist als die Plakatierung allein, sind doch in unseren Wahlkämpfen die Plakate die Visitenkarte der Parteien. Ihr Auftritt, ihre Botschaften, ihre Persönlichkeiten werden über Plakate vermittelt, die Kampagne wird hier auf den Punkt gebracht. Im laufenden Berliner Wahlkampf wird aus den Plakaten klar, wo die Parteien ihre Trümpfe sehen: Die SPD in Klaus Wowereit, die CDU in ihrem 100-Punkte-Änderungsprogramm, die Grünen mit symbolischen Problemdarstellungen, um ein paar Beispiele herauszugreifen. Plakate sind kaum als Mittel der direkten Überzeugung gedacht. Sie sind der Aperitif zum Menü, das Interesse des Wählers soll geweckt werden.

Ein wesentliches Thema spricht Herr Ildeniz an, wenn er fragt, ob die Parteien auf Plakaten sich alles erlauben können. Natürlich nicht. Wie im gesamten Wahlkampf müssen Parteien auch auf Plakaten Anstand, Moral, aber auch Fairniss walten lassen. Solange die rechtsextreme NPD zugelassen ist, darf sie Wahlkampf mit eigenen Plakaten machen. Wieder einmal hat sie sich mit ihrem Plakat „Gas geben“ entlarvt als eine Partei, die man nicht wählen darf. Wie geht man damit um? Das Plakat verbieten, abreißen oder zerstören geht meiner Meinung nach nicht. Die Argumente gegen die Aussage hat Leser Ildeniz genannt. Das Ewiggestrige müssen wir ausgrenzen aus der demokatischen Gemeinschaft. Diskussionen und Proteste sind wichtig und notwendig. Wahlkampferfahrungen zeigen aber auch, dass man aufpassen muss, der NPD damit nicht eine zu große Publizität zu verschaffen, die sie ja mit ihrer Plakatprovokation gerade beabsichtig hat.

Etwas Gelassenheit, wir Demokraten sind doch stärker, Herr Ildeniz. Nehmen wir die Plakate der Parteien als das, was sie sind: Ein Teil des Wahlkampfs mit Signalaussagen, aber nicht mit dem ganzen Inhalt. Sehen wir sie uns an und interessieren wir uns für die Wahlaussagen, damit wir ein sicheres Gefühl für unser eigenes Wahlvotum finden. Vor allem aber, gehen wir zur Wahl, per Brief oder direkt an die Urne.

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