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Die FDP kämpft mit sich selbst.

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Liberale in der Krise: Supernova FDP

Den Liberalen in Deutschland fehlen Haltung, Biss und Mut. Kann eine etablierte Partei nicht auch mal untergehen?

Angela Merkel, Bundeskanzlerin und CDU-Parteivorsitzende, hat einen unschätzbaren Vorteil. Im Unterschied zu allen anderen Spitzenpolitikern im Land kennt sie keinerlei Sentimentalitäten, wenn es um den verblassenden Glanz der alten bundesdeutschen Parteien geht. Der Abstieg der CDU als Volkspartei schmerzt sie nicht; sie passt die CDU je nach Bedarf elastisch an, und das gelegentlich fließende Herzblut ihrer Parteifreunde ist aufgewogen, solange die Verluste der politischen Konkurrenz größer sind als die eigenen.

Wie solche Rechnungen aufgehen können, hat sich am Ende der großen Koalition gezeigt. Die Krise der SPD ist offenkundig existenzieller als die Schwierigkeiten der Union. Insofern, und erst recht mit dem grünen Aufstieg, dürfte die SPD in den Kalkulationen der CDU-Vorsitzenden vorerst als abgehakt betrachtet werden.

Nun aber steht ihr aktueller Koalitionspartner in einem Überlebenskampf. Die FDP – ein Dino der deutschen Parteienlandschaft wie die Volksparteien, aber einer von der kleinen, wendigen, aggressiven Sorte – hat vor und nach ihrem Rostocker Parteitag mehr zu bewältigen als eine Führungskrise. Schon deren Verlauf – die Nominierung eines nicht ins Amt drängenden Vorsitzenden, der die Zügel nicht in die Hand bekommt, ja, vielleicht nicht einmal in die Hand nimmt – zeigt einen seltsamen Verfall der liberalen politischen Kultur an. Glaubt dieser zaudernde Verein noch selbst an seine politische Zukunft? Könnte es vielmehr sein, dass die politische Landschaft sich nicht nur unaufhaltsam erweitert, sondern eine der vertrauten Parteien einfach untergehen kann?

In der FDP des Frühjahrs 2011 ist die alte FDP jedenfalls kaum wiederzuerkennen. Deren Konstanz als Regierungspartei beruhte auf einer Risikobereitschaft und Krisentoleranz, die den schwerfälligen Tankern Union und SPD die entscheidenden Richtungsbeschlüsse erst möglich gemacht hat. 1949, als es um Westbindung und Marktwirtschaft ging. Es waren Zäsuren für das Land und Zerreißproben für die FDP, als 1969 mehr Demokratie gewagt werden sollte und 1982 ein fliegender Koalitionswechsel gewagt wurde. Der politische Gehalt dieser „geistig-moralischen Wende“ wurde von Helmut Kohl banalisiert. Die FDP bezahlte die nicht enden wollende babylonische Gefangenschaft in den 1990er Jahren fast mit ihrer Existenz.

Zum Retter wurde damals Guido Westerwelle, der die FDP nicht – was durchaus eine diskutierte Option war – nationalliberal, sondern dezidiert wirtschaftsliberal aufgestellt und damit vom Image der bloßen Funktionspartei befreit hat. Der Gewinn der „Eigenständigkeit“ war überfällig. Das Dreiparteiensystem, das der FDP die privilegierte Rolle als „Zünglein an der Waage“ garantiert hatte, war mit der Etablierung der Grünen ans Ende gekommen. Und die Liberalen haben sich damit auf die Höhe des Zeitgeistes begeben. Sie wurden, ab 1998 in der Opposition, zum lauten Sprachrohr des neoliberalen Paradigmas, das bis zur Finanzkrise des Jahres 2008 Diskurse und Praxis der westlichen Welt dominiert hat.

In Deutschland war es allerdings, wie Merkel bei der Bundestagswahl 2005 zu spüren bekam, nicht mehrheitsfähig. Umso mehr aber war es geeignet, die entschiedene Minderheit zu sammeln, die angesichts der verheißungsvollen Chancen in der globalisierten Welt vom deutschen Umverteilungsgeist genug hatte. Dass in der gleichen Zeit eine rot-grüne Koalition die Arbeits- und Sozialordnung in Deutschland stärker dereguliert hat als jede schwarz-gelbe vor und nach ihr, ist die eigentliche Pointe der Geschichte. Denn erst die nachhaltige Abwendung enttäuschter Wähler von der SPD hat den Erfolg des arbeitsteiligen Bundestagswahlkampfs von Union und FDP 2009 möglich gemacht.

Merkel überließ mit ihrem sanften Kurs der FDP die entschiedene Minderheit der leistungsorientierten Wirtschaftsbürger, Westerwelle trieb mit dem Steuersenkungsmantra seine Rolle als unbeliebtester Politiker auf und an die Spitze, 30 Prozent der wahlberechtigten Bürger blieben zu Hause, 14,6 Prozent gaben der FDP ihre Stimme. Alles zusammen trug Schwarz-Gelb zum Sieg.

Doch danach saß die siegreiche bürgerliche Koalition in der selbst gebauten strategischen Falle. Denn das Steuersenkungsversprechen war, wie jedermann, sogar ein großer Teil der FDP-Wähler ahnte, nach den Staatsgarantien für die Banken uneinlösbar. Auf jeden Fall wusste es Merkel. Im Mai 2010, nach der für Schwarz-Gelb verlorenen Wahl in Nordrhein-Westfalen und im Windschatten der Griechenlandkrise, erklärte sie Steuersenkungen beiläufig für unmöglich. Der Preis für diesen verbrauchenden Politikstil ohne Weitblick war fällig geworden.

Westerwelle wurde zur Supernova der Politik: Nach strahlendem Aufstieg verglühte er schnell. Frühere Verdienste verschwanden im Schatten eines spektakulären Auf- und Abstiegs, der einmalig ist in der deutschen Politik. Nach den Wahlniederlagen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg musste er die Segel streichen.

Aber einen Sturz à la FDP, wie im Fall von Westerwelles Vorgängern, konnte man das kaum nennen. Bemerkenswerter war, wie Westerwelle den Vollzug über seinen Rückzug inklusive der (scheinbaren) Bestandsgarantie für sein Amt als Außenminister in der Hand behielt. Auch den Verzicht auf seinen Platz im Koalitionsausschuss verkündete er souverän selbst; nicht einmal das konnte sein designierter Nachfolger als eigenen Sieg ausgeben.

Denn so cool wie die Kanzlerin sind die jungen Freidemokraten des Jahres 2011 ganz und gar nicht. Dabei ist ihre Partei doch in Ränken, Intrigen und taktischer Kaltblütigkeit geübt wie keine andere. Hier drängt kein neuer Kopf für seinen neuen Kurs nach vorn. Philipp Rösler soll Vorsitzender eigentlich nur werden, weil er Bundesminister und einige Jahre älter ist als der 32-jährige Generalsekretär, Christian Lindner. Der als FDP-Landeschef von Nordrhein-Westfalen mächtige Daniel Bahr hat erst Fährten zur Integration des Alt-Liberalen Rainer Brüderle in die neue Parteispitze gelegt, um dann das Gegenteil vage anzudrohen, nämlich dessen mögliche Beschädigung als Bundeswirtschaftsminister im Gefolge einer gescheiterten Kampfabstimmung um den Stellvertreterposten. Fraktionschefin Birgit Homburger, wie die drei jungen Männer Produkt von Westerwelles Nachwuchsförderung, steht unter massivem Druck. Auf dem Sonderparteitag ihrer Südwest-FDP setzte sich die 46-jährige Landeschefin am Samstag nur äußerst knapp – und erst im zweiten Wahlgang – gegen ihren Gegenkandidaten Michael Theurer durch.

Rösler gelingt die angekündigte Neuaufstellung im Vorfeld des Parteitags weder personell noch inhaltlich. Der „mitfühlende Liberalismus“ (FDP/ML) bleibt eine peinlich blasse Idee, die so neu nicht ist, wie sie scheint. Sie hat auch den scheidenden Parteichef schon einmal angewandelt. Der im Vorfeld des letzten Dreikönigstreffens veröffentlichte „Neujahrsappell“ von Bahr, Lindner und Rösler zeigt deutlich, dass die junge Generation keine eigene Idee hat, wie ihr politisches Erweckungserlebnis der 90er Jahre, die „Eigenständigkeit“ der FDP, in den heute massiv veränderten Verhältnissen produktiv werden könnte.

Dieser FDP fehlt Biss und Mut bei der Krisenbewältigung. Generalsekretär Christian Lindner, medial lange vor Westerwelles Abgang als dessen Nachfolger in Stellung gebracht, absolviert Auftritte, die eher gereizt als brillant wirken: Die Frage etwa, ob sich ein freundlicher junger Mann wie Rösler im Haifischbecken der Koalition durchsetzen könne, kontert er mit der Gegenfrage, ob die FDP denn einen „Kotzbrocken an der Spitze“ brauche.

Ins Gesicht steht es dem Generalsekretär geschrieben, dass er die strategischen Defizite ahnt und auch, wie weit diese FDP, die neue Führung, er selbst von Auswegen entfernt ist. Nach dem Motto „Privat vor Staat“ absolviert er routinierte Attacken auf „Ökokratie“ oder „Kommandowirtschaft“ in Baden-Württemberg. Sie dürften die dortige Wirtschaft kalt lassen, die sehr gut weiß, wie sie sich jenseits der FDP mit der grün-roten Landesregierung arrangieren kann. Lindners Partei spielt nicht mit, als er auf Merkels abrupte Atomwende eilig seine eigene setzte und die acht abgeschalteten Atomkraftwerke vor Ablauf des Moratoriums dauerhaft vom Netz nehmen will.

Dabei ticken die Generalsekretärsinstinkte hier richtig. Wenn die CDU grün wird, muss die FDP mithalten. Es schafft zwar politische Trennschärfe, in der Debatte um den Ausstieg Sprachrohr der wenigen (aber vorhandenen und mächtigen) Akw-Befürworter zu sein. Doch dem ohnehin fast zur Fiktion heruntergekommenen Macht- und Regierungsanspruch des alten „bürgerlichen Lagers“ droht mit Merkels Atomwende das Aus. Ganz gleich, wie unglaubwürdig Merkel in diese Politik hineingestolpert ist – sie wird irgendwann zur genialen Strategie der Machtvirtuosin verklärt werden.

Denn unbestreitbar wahr ist, dass Angela Merkel im Frühjahr 2011 mit ihrer Atomwende das entscheidende Hindernis zu schwarz-grünen Koalitionen ausgeräumt hat. Und das in einem Moment, der den bürgerlichen Traditionspartner FDP in einer Krise zeigt, die einen gemeinsamen schwarz-gelben Weg bis zur Wahl 2013 fast unvorstellbar erscheinen lässt. Will die FDP sich vom bürgerlichen Partner nicht hoffnungslos isolieren, bleibt ihr nichts anderes übrig, als im Wettlauf um die Ergrünung aller Parteien mitzulaufen. Wahr ist allerdings auch, dass sie der Erneuerung von Profil und Programm damit keinen Schritt näher kommt.

Politik ist die Kunst, bei der die Quadratur des Kreises möglich ist oder scheint. In diesem Frühjahr wird Deutschland zum Schauplatz eines politischen Feldversuchs, den nüchterne Zeitgenossen, Wutbürger und Nichtwähler längst in die Sphären des Unvorstellbaren abgeschrieben haben. Kann eine der komplexen Megafragen unserer Zeit, der Weg in die postkarbonare und -atomare Energieversorgung, wirklich im nationalen deutschen Rahmen gelöst werden? Als aufgeklärte Bürger wissen wir doch: Politik, wenn es wirklich wichtig wird, hat ihre nationale Gestaltungskraft verloren – an übernationale Instanzen, an eine global agierende Wirtschaft, die sich über die Grenzen nationaler Regeln hinwegsetzen kann.

Der deutsche Weg zu den erneuerbaren Energien kann zur Pioniertat werden. Ein Sonderweg bleibt er. Fast überflüssig, die Risiken aufzuzählen: die Sachzwänge von Netz- und Speicherausbau, der ökonomische Zynismus der Energiewirtschaft, die soziale Frage der Kosten. Von der erfolgreichen Suche nach einem neuen Energiekonsens wird nur die grüne Partei wirklich profitieren, weil sie über lange Zeit bewiesen hat, dass diese Sache ihr politisches Anliegen ist. Der Fukushima-Schock aber wird unvermeidlich verblassen, andere komplexe Megaprobleme werden wieder auf die Agenda drängen: die Dominanz der Finanzwirtschaft, die Folgen von Demografie und Migration, die Euro-Krise, die neue soziale Ungleichheit.

Unbearbeitete Felder für die Volksparteien, die den Verlust an politischer Gestaltungskraft durch Taktiken von Tag zu Tag kompensieren wie Angela Merkel. Das wird ihr bei sinkender Zustimmung zu ihrer Partei gelingen, solange die SPD gegenüber jenen Menschen ihre Glaubwürdigkeit nicht zurückgewinnt, die sich von der Politik resigniert abgewandt haben. Wenn nicht Ziel und Sinn sie rechtfertigen, gerät Machttaktik der SPD regelmäßig zum Tanz auf dem Glatteis, bei dem sie jederzeit über die eigenen Beine fallen kann.

Eine Megafrage hält die Wirklichkeit auch für die angeschlagenen Liberalen bereit. Es bleibt dabei, dass sie Zukunft nur als Partei des bürgerlichen Selbstverständnisses haben wird, das eigene Initiative vor staatliche Interventionen setzt. Doch die Hierarchien zwischen Markt und Staat sind unübersichtlich geworden. Das Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft bleibt graue Theorie.

Kann von „Marktwirtschaft“ überhaupt noch die Rede sein, wenn die Risiken der Finanzwirtschaft durch Vollkasko-Versicherungen der Staaten, mithin der steuerzahlenden Bürger gedeckt werden? Das ist die Frage, die den politischen Liberalismus heute herausfordert wie keine andere. Solange ihre jungen Politiker daran nicht rühren, läuft die FDP Gefahr, zur Supernova zu werden, wie Westerwelle, dessen Zeit vorbei ist.

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