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Lidl und die Löhne: Was uns übrig bleibt

Lidl gegen Lohndumping klingt ungefähr so glaubhaft wie Ahmadinedschad gegen atomare Aufrüstung. Dass Billigsupermärkte in absehbarer Zeit wirklich anständige Löhne zahlen, ist nicht zu erwarten.

Die Zeiten, in denen ein Arbeitsleben an der Registrierkasse zu Mittelklassewohlstand und einer auskömmlichen Rente geführt hat, sind schlicht vorbei.

Schuld daran sind wir alle: die Verbraucher, die in Deutschland wie in kaum einem anderen Land Billigstpreise für Nahrungsmittel durchgedrückt haben. Der Schnäppchenwahn schadet den Beschäftigten, ebenso den Bauern und letztlich auch den Kunden selbst, weil die Qualität leidet. Aber die Eigentümer von Aldi und Lidl hat die deutsche Geizgeilheit zu den reichsten Männern des Landes gemacht. Die Margen sind klein, aber die Masse bringt Milliarden.

Lidl, ausgerechnet Lidl setzt sich also für einen Mindestlohn im Einzelhandel ein, und dafür gibt es eine Reihe plausibler Gründe. Das negative Spitzel-Ausbeuter-Image bedarf dringend einer Verbesserung, wie die gehäuften Fernsehspots der jüngeren Zeit nahe legen. Vielleicht ist das PR-Problem sogar das zentrale Motiv. Aber es gäbe auch handfestere Überlegungen. Wenn alle denselben Lohn zahlen, findet der Wettbewerb in diesem Feld nicht mehr statt und verliert an Komplexität.

Hinzu kommt, dass die allgemeine Wahrnehmung nicht fair ist. Die Arbeitsbedingungen sind hart, und Lidl zahlt nicht herausragend, aber immer noch besser als andere. Der Stundenlohn liegt im Schnitt bei 13 Euro plus Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Die Horrorlöhne von fünf, sechs, sieben Euro gibt es anderswo. Wenn also die Mindestlohnidee zu höheren Personalkosten bei der Konkurrenz führte, hätte auch Lidl davon etwas. So ungefähr lief es in der Abfallwirtschaft, in der seit Jahresanfang ein Mindestlohn von 8,02 Euro gilt – die großen Player waren dafür, logisch.

Womit die wichtigste Frage angesprochen wäre: Wie hoch sollte er denn sein, der Mindestlohn? In dem Lidl-Papier ist davon keine Rede. Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert offiziell einheitlich 7,50 Euro und bewegt sich intern Richtung neun Euro. Von solchen Sätzen hätten die Lidl-Beschäftigten gar nichts, doch mehr als acht, neun Euro wären wiederum kaum zu erreichen. Ein Branchenmindestlohn müsste in Tarifverhandlungen die Zustimmung der Arbeitgeber erhalten, und da ist Lidl nur einer von vielen. Und: Erst mit Billigung der Bundesregierung könnte dieser Mindestlohn per Entsendegesetz auch Rechtskraft erlangen – das ist wenig wahrscheinlich. Schon bei der Abfallwirtschaft hat es beinahe nicht geklappt, obwohl sich die Tarifparteien schon lange vor dem Regierungswechsel einig waren. FDP billigt Mindestlöhne: Diese Überschrift passt eben nicht in die Zeit.

Dabei sind die Niedriglöhne – zum Beispiel im Handel, aber auch bei Callcentern und in der Gastronomie – ein Thema, das einer klaren politischen Antwort bedarf. Von spätrömischer Dekadenz ist bei den Beschäftigten dieser und anderer Branchen nämlich keine Spur. Entweder bekennt man sich zu dem Konsens vergangener Jahre, dass man besser niedrige Löhne mit staatlichen Mitteln aufstockt als Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Dafür spricht einiges und vor allem, dass es billiger ist. Oder man folgt der Idee, dass man von seiner Hände Arbeit auch leben können muss – dann aber landet man in der Tat bei Mindestlöhnen. Leider kommt einem dabei eine alte Erkenntnis in die Quere: Sind sie zu niedrig, nützen sie nichts, und sind sie zu hoch, vernichten sie Arbeitsplätze und treiben die Preise. Dass Lidl diese gesellschaftliche Debatte voranbringen wollte, ist wenig wahrscheinlich. Aber an der Zeit ist sie.

Denn auch wenn das Wort Armut vielleicht überzogen ist, der Wohlstand der Deutschen sinkt, weil die Globalisierung den Wohlstand der Welt neu verteilt. Die Krise hat diesen Prozess noch beschleunigt, und die größte Industrie- und Exportnation Europas steht in seinem Zentrum. Das wirft viele drängende Fragen auf – aber eine ist ganz sicher, wie das verteilt wird, was übrig bleibt.

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