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Meinung: Lieber nicht wählen

Freiheit braucht der Irak – noch mehr als Demokratie

Was machen die Amerikaner im Irak? Wie ein Phantom hatte sich das alte System über Nacht in Luft aufgelöst und das Land den Amerikanern überlassen. Doch wenige Wochen nach dem Ende des Krieges liegt noch immer eine geisterhafte Ungewissheit über dem Land. Von einer Aufbruchsatmosphäre ist jedenfalls nichts zu spüren, der Eindruck bleibt, den schon die Plünderung des Nationalmuseums in Bagdad erweckt hatte: den Amerikanern fehlt die Leidenschaft für den Wiederaufbau des Irak.

Das ist besonders erstaunlich, da einer der Hauptvorwurf an die neokonservativen Falken um Bush lautete, sie planten das Herzstück des Nahen Osten zu kolonialisieren. Der Impetus, vom Irak aus die Welt neu zu ordnen, ist über Nacht verflogen. Inzwischen scheint die nächste Präsidentenwahl den Takt viel mehr anzugeben als irgendwelche geostrategischen Überlegungen. So seltsam es klingt: Was die Amerikaner im eigentlich Irak wollen, ist im Moment weniger klar als vor dem Krieg.

Lange bildete im Kanon der Kriegsziele die Demokratisierung des Irak den Grundton. Zuletzt war von der Freiheit die Rede, die einem unterdrückten Volk gebracht werden solle (die Kriegskampagne hieß schließlich „Operation Iraqi Freedom“) – als ob Freiheit und Demokratie nicht getrennt von einander zu denken seien. Frei von Saddam Hussein sind die Iraker nun; wie frei sie nach einer demokratischen Wahl wären, kann niemand vorher sagen. Im Moment wollen die Amerikaner, die sich kasteienden Schiiten noch im Kopf, das Risiko der Demokratie wohl lieber nicht testen.

Auf dieses Dilemma hat gerade der amerikanische Journalist Fareed Zakaria in seinem Buch „The Future of Freedom“ hingewiesen. Seine Argumentation ist verblüffend: Demokratie führt nicht zwangsläufig zu Freiheit. In vielen so genannten „illiberalen Demokratien“ wie Russland oder Venezuela würden Wahlen schlicht autoritäre, korrupte Regierungen an die Macht bringen. Wichtiger als demokratische Wahlen sei daher der Aufbau liberaler Strukturen. Ohne ein stabiles Rechtssystem, eine tatsächliche Gewaltenteilung, Privateigentum, oder auch unabhängigen Parteien, ist Freiheit langfristig nicht zu sichern. Zakaria plädiert deshalb für einen anderen Fahrplan: Zuerst Wirtschaftsreformen, dann politische Reformen, und am Ende einer Liberalisierungsentwicklung demokratische Wahlen.

Überträgt man dieses Argument auf den arabischen Raum, stellt sich die Frage neu, ob die Region, wie immer behauptet, wirklich unter einem Demokratiedefizit leidet. Freie Wahlen in Ägypten brächten vermutlich radikale Islamisten die Stimmenmehrheit (wie in Algerien), während Arafat andererseits von sich behaupten kann, mehr oder weniger demokratisch gewählt worden zu sein. Woran es dort mangelt, ist vielmehr ein Grundgerüst an liberalen Strukturen, die Freiheit sichern. Freie Wahlen würden die Lage in der Region eher weiter destabilisieren.

Der Irak ist frei von dem diktatorischen System Saddam Hussein; selbstbestimmt ist er noch nicht und demokratisch im Sinne einer westlichen liberalen Demokratie noch lange nicht. Um den Irak zum einem „demokratischen Leuchtfeuer“ in der Region zu machen, müssen die Amerikaner dort ein Erbe liberaler Strukturen hinterlassen. Vorrangiger als freie Wahlen braucht der Irak freiheitliche Strukturen. Dafür ist ein langfristiges, mehrjähriges Engagement notwendig, nicht eine einzige Wahl. Nach den Terroranschlägen von Saudi Arabien ist die Leidenschaft der Amerikaner dafür sicher gesunken. Die Gefahr, dass im Irak eine „illiberale Demokratie“ entstehen könnte, ist dagegen eher gestiegen.

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