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Meinung: Liebesbomben auf Dresden

Roger Boyes, The Times

Der Große Schwurgerichtssaal in Wien hat ungleich mehr theatralisches Flair als die graue, sauerstoffarme Moabiter Justizanstalt. Wer dort in der ersten Reihe sitzt und wie ein Labrador mit der Nase schnuppert, kann den U-Haft-Geruch des Angeklagten aufnehmen. David Irving, der Historiker-Provokateur, stolzierte in den Saal aus der Habsburg-Epoche wie ein englischer Gentleman; am Ende des tagelangen Ausgrabens seiner vielen Lügen über Hitler und Auschwitz machte er eine müde und gebrochene Figur. Aus seiner Richtung waberte ein merkwürdiger Geruch: der scharfe Duft des Gefängnisses, in dem er die kommenden drei Jahre verbringen wird. Physisch wirkte er wie einer jener müden Männer in deutschen Städten, die ihren Ehefrauen vorspielen, zur Arbeit zu gehen, aus Angst davor, zugeben zu müssen, dass sie arbeitslos sind. Sie sitzen depressiv auf Parkbänken und füttern Tauben. Ich kann mir kein besseres Schicksal für einen arbeitslosen Holocaust-Leugner vorstellen.

Der österreichische Richter zwang Irving, sich für seine Karriere zu entschuldigen, die daraus bestand, die Existenz von Gaskammern und Todeslagern in Frage zu stellen. Ich wünschte mir, Richter hier besäßen die gleiche Autorität, um öffentlich die brüchigen Argumente von Ernst Zündel zu zerstören, dem nächsten Nazi-Apologeten, der verurteilt wird.

Aber vor allem wünschte ich mir, dass den Fernsehfritzen das Erzählen des „Dritten Reichs“ untersagt würde. Sie, nicht die Zündels und Irvings, sind nämlich die neuen Verfälscher. Da gibt es die Verzerrungen des Quotenführers Guido Knopp, der sich künstliche Themen sucht – Hitlers Frauen! –, um beim jungen Publikum zu punkten. Und es gibt die Zyniker, die zweifelhafte Helden aus bösen Menschen wie dem SS-Arzt Schenck machen – siehe Eichingers „Untergang“.

Der nächste Revisionismus folgt zur besten Sendezeit am Sonntag, den 5. März im ZDF: Dresden, das Inferno. Es heißt, der Film habe 10 Millionen Euro gekostet. Das ist die Summe, die man mir zahlen müsste, damit ich ihn mir ein zweites Mal anschauen würde. Auf der Oberfläche ist alles authentisch: die Hitze des Feuersturms vom Februar 1945, der Wind, der Lärm, das herumfliegende Glas. Aber da die Geschichte nicht nur aus deutscher Sicht erzählt werden darf – das würde uns „in die falsche politische Ecke stellen“, sagt Produzent Nico Hofmann –, wurde dem Film eine britische Stimme beigefügt. Das Ergebnis: der Missbrauch einer historischen Erzählung. Ohne den Fernsehspaß der Tagesspiegel-Leser zerstören zu wollen, kann ich einige der erdichteten Absurditäten enthüllen: Die Filmemacher erfinden einen abgeschossenen, attraktiven britischen Piloten, der – schwer verwundet – von Magdeburg nach Dresden wandert und sich dort versteckt. Niemand merkt, dass er Engländer ist, auch nicht die von Felicitas Woll gespielte Krankenschwester, in die er sich verliebt. Der RAF-Pilot findet heraus, dass Felicitas’ Vater und Verlobter, beide Ärzte, krumme Dinge mit Morphium drehen. Niemandem sonst war das aufgefallen. Unser Held (ein britischer Held in Dresden?) geht, verkleidet in einer Wehrmachtsuniform, auf eine Party, um den Skandal aufzudecken. Dann fallen die Bomben. Was ist wahr, was nicht? Das ist keine verantwortungsvolle Geschichtserzählung, das ist Gefühlsmanipulation.

Den „Untergang“ begleitete eine Pseudo-Debatte in „Bild“ und „Spiegel“: Darf man Hitler als sympathischen verrückten Mann darstellen statt als Monster? Dabei hätte die wahre Debatte fragen müssen: Stimmen Eichingers Fakten? Eine ähnliche Farce wird sicher auch jetzt folgen: Können wir Liebe in Zeiten des Horrors darstellen? Dabei ist das Thema: Dürfen Filmemacher historische Erzählungen sentimentalisieren und eine ausgedachte Liebesgeschichte so authentisch erscheinen lassen wie den grausamen Tod von zehntausend Dresdnern? Das ist gefühlte Geschichtserzählung – und auf ihre Weise viel verführerischer als die Lügen von Irving, Zündel und Konsorten.

Der Kern des Problems liegt in der Weise, in der das „Dritte Reich“ unterrichtet wird. Die Schulbücher sind meistens ausgezeichnet, aber den Schülern wird der Eindruck einer Geschichte vermittelt, die nicht nur böse, sondern auch anonym ist, ohne Stimme oder Gesicht. Das ist, sagen Schüler, langweilig. Filmemacher wissen um diesen Hunger nach Farbe in der Darstellung jener Zeit. Die Versuchung, Geschichte für Teenager leichter verdaulich zu machen ist also sehr groß – warum sonst Felicitas Woll als Heldin in einem Dresden-Epos. Programmhinweis: Im Ersten läuft wie gewohnt ein Tatort. Schauen Sie sich lieber den an.

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