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Loveparade-Katastrophe: 75-fache Verantwortung

Duisburgs Stadtrat sollte den Oberbürgermeister abwählen – und zurücktreten.

Ist es eine Frage der Ehre oder eine des Anstands? Ist es vielleicht sogar eine Frage der Scham? Oder geht es, ganz banal, vor allem erst einmal um Altersruhegeld?

Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland bleibt im Amt. Er ist auch an diesem Sonnabend noch Stadtoberhaupt, wenn in Duisburg eine Trauerfeier für die 21 Opfer der Loveparade-Katastrophe stattfindet. Er wird in der Salvatorkirche nicht dabei sein, wenn Angehörige, politische Prominenz und einfache Duisburger Bürger der Menschen gedenken, die auf so grauenvolle Weise umkamen. Duisburgs Stadtoberhaupt kann sich nicht mehr ohne Personenschutz auf die Straße trauen, denn viele, durch das Geschehen tief aufgewühlte Duisburger geben ihm persönlich Mitschuld daran, dass es zu dem Unglück gekommen ist.

Nicht nur sie, auch führende Unionspolitiker, also aus Sauerlands Partei, fordern seinen Rücktritt. Er aber bleibt im Amt. Ein Rücktritt käme, so sagt Adolf Sauerland selbst, einer Vorverurteilung der Verwaltung gleich. Zu gegebener Zeit wolle er die notwendigen Konsequenzen ziehen. Wenn die Stadt sich etwas vorzuwerfen habe, „dann werden wir Verantwortung übernehmen“.

Sauerland verlöre durch Rücktritt seine Pensionsansprüche, hört man vom Bund der Steuerzahler. Bei einem 55-Jährigen wäre das ein gewichtiger Grund, den Amtssessel im Rathaus nicht zu räumen. Aber diese Auskunft ist offenbar falsch. Für die Altersvorsorge unschädlich wäre es auf jeden Fall gewesen, wenn Sauerland die Amtsgeschäfte sofort hätte ruhen lassen. Ohne jeden Zweifel muss auch die Rolle des Oberbürgermeisters Gegenstand der staatsanwaltlichen Ermittlungen sein. Sauerland ist, anders als er wohl glaubt, nicht Herr des Verfahrens, sondern vielmehr ein Gegenstand der Untersuchungen. Dass er persönlich nichts unterschrieben habe, von niemandem direkt auf mögliche Gefahren hingewiesen worden sei, das sind ziemlich schäbige Begründungen für das weitere Verharren im Amt.

Aber das alles spielt eigentlich auch keine Rolle mehr. Für einen Rücktritt ist es zu spät. Bundesinnenminister Rudolf Seiters, übrigens ein Parteifreund von Sauerland, trat 1993 nach einer missglückten Antiterroraktion der Polizei auf dem Bahnhof von Bad Kleinen zurück. Der Schritt war für ihn, der persönlich ohne jede Schuld an den Pannen war, eine Frage des politischen Anstands. Dem kann in Duisburg nur noch der Stadtrat nachhelfen. Er könnte den Oberbürgermeister abwählen, macht es hoffentlich auch bald.

Aber die 75 Vertreter des Rates könnten ein Übriges tun. Sie könnten prüfen, ob die nordrhein-westfälische Gemeindeordnung einen kollektiven Rücktritt und eine Neuwahl der Gremiums möglich macht. Das Großereignis Loveparade, das der durch Konjunkturkrisen gebeutelten Stadt neuen Ruhm bringen sollte, war quer durch die Fraktionen politisch gewollt. Nach diesem Unglück die Geschicke der Stadt nicht einfach weiterzutragen, sondern die Entscheidung darüber in die Hand des Wählers zurückzugeben, ist – eine Frage des Anstands und der Scham.

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