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Meinung: Macht hoch die Tür

Eichels Rentendebatte zeigt allen: Die Agenda 2010 ist erst der Anfang

Wer in Deutschland Rente sagt, kann sicher sein: Gleich wird es laut und unruhig. Jetzt hat ein gemischtes rot-grünes Doppel zugeschlagen, die grüne Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt und Finanzminister Hans Eichel, SPD. Die eine will die nächste Rentenerhöhung aussetzen, der andere warnt dunkel vor dem Jahr 2050. Vorschläge ohne Absprache, aber mit Wirkung. Aus dem DGB erhebt sich die Stimme von Ursula Engelen-Kefer, aus der SPD die von Andrea Nahles, die „Bild“ vermutet einen Rentenbetrug. Und das zwei Tage vor dem SPD-Sonderparteitag. Als hätte Gerhard Schröder nicht schon genug Sorgen mit seiner Partei, mit dem Schrecken aus Nordrhein-Westfalen und überhaupt.

Zur reflexhaften Abfolge von Renten-Vorstößen, öffentlicher Aufregung und regierungsamtlicher Abwiegelei gehört auch der nächste Schritt. Die politischen Beobachter interpretieren die taktischen Hintergründe. Eine der beiden gängigen Lehrmeinungen sieht in dem Vorgang zu diesem Zeitpunkt kontraproduktiven Unsinn und erklärt ihn mit Profilsucht. Die andere, derzeit sehr populäre, vermutet kalkulierte Schlauheit, eine absichtsvolle Inszenierung. Denn über Eichel und Göring–Eckardt werden sich die SPD-Delegierten zwar aufregen – aber schadlos, weil sie dem Kanzler mit seiner etwas harmloseren Agenda 2010 umso leichter folgen können.

Zweieinhalb Monate nach Schröders Regierungserklärung zur Agenda ist es Zeit für eine dritte Lehrmeinung. Die nämlich, dass politischer Stoff sich wie von selbst inszeniert, wenn es ernst wird. Ohne nach den planerischen Absichten der Akteure lange zu fragen. Haben wir vor dem lauten Aufschrei von Gewerkschaften und SPD-Rebellen überhaupt mitbekommen, dass Schröder die Sozialstaatsreform wirklich anpacken will? Halten wir seine Agenda noch für wichtig, wenn nach dem Einlenken von DGB-Chef Michael Sommer nun auch der Sonderparteitag brav Ja und Amen sagt? Es gibt einen Regisseur, der die Botschaft „Leute, jetzt muss es sein“ immer wieder neu inszeniert. Aber er heißt nicht Schröder. Sondern: Zwang. Der Zwang der Verhältnisse findet stets Mitspieler, die gar nicht anders können, als ihre Finger auf die Wunden zu legen. Göring-Eckardt verkörpert in ihrer Partei das Prinzip Zukunft. Und Hans Eichel schmerzt es richtig, wenn Wolfgang Clement oder Ulla Schmidt sich als Reformer der Sozialkassen hervortun, den öffentlichen Haushalten dabei aber neue Lasten zuschieben.

Göring-Eckardt hat recht, wenn sie sagt, dass ein großer Teil der älteren Generation zum Umbau etwas beisteuern kann. Und für Eichels Warnung vor einer Entwicklung, bei der 80 Prozent der Bundesmittel in die Rente fließen, ist es höchste Zeit. Die Vorstöße sind aber nicht nur sachlich richtig, sie nützen auch dem weiteren Verfahren. Nichts wäre deprimierender, als wenn sich nach Vollzug beim SPD-Sonderparteitag das behagliche Gefühl breit macht, das sei es nun gewesen. Der Wert von Schröders Agenda liegt nicht vorrangig in den konkreten Maßnahmen. Sie hat eine Tür aufgeschlagen – ohne Druck in die gleiche Richtung fällt sie womöglich wieder zu. Ganz sachte.

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