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Meinung: Mandat zum Mitreden Karlsruher Urteil

zu Parlamentsrechten.

Von Robert Birnbaum

Urteile des Bundesverfassungsgerichts lassen sich grob in zwei Kategorien teilen: solche, die jeder halbwegs normal gebildete Mensch lesen und verstehen kann, und solche, die nicht. Das jüngste Urteil zum Verhältnis von Regierung und Parlament in „Angelegenheiten der Europäischen Union“ fällt in die zweite Schublade. Das liegt nicht daran, dass der Sachverhalt besonders kompliziert wäre. Kompliziert ist etwas anderes: „In Angelegenheiten der Europäischen Union“ geht es in Karlsruhe selbst beim kleinsten Anlass inzwischen immer gleich ums Ganze.

Man kann das am jüngsten Urteil gut ablesen. Die Sache selbst ist einfach: Die Bundesregierung hat den Bundestag über eine Reihe von Zwischenschritten in den Verhandlungen unter anderem zum Euro- Rettungsschirm ESM nicht informieren wollen mit der Begründung, es handele sich um einen normalen Vertrag zwischen Staaten. Zu einem solchen kann der Bundestag am Ende Ja oder Nein sagen, aber er darf nicht mitverhandeln.

Falsch, sagt das Gericht – es ist zwar ein Vertragswerk unter Staaten, aber kein normales, sondern ein innereuropäisches; deshalb gelten alle Regeln der erweiterten Parlamentsbeteiligung genau so wie beim normalen EU-Recht.

Das klingt logisch. Was nützt schließlich die mühsam erstrittene Mitwirkung der nationalen Parlamente, wenn die Regierungen sie dadurch ausmanövrieren könnten, dass sie das Wesentliche als zwischenstaatlichen Vertrag regeln? Der nächste Fall dieser Art – eine wie immer geartete Finanzmarktsteuer – zeichnet sich schon ab.

Aber in dieser Logik steckt ein Problem, und das Gericht zeigt mit einer Nebenbemerkung, dass es dieses Problem genau kennt: Ob dieser Maßstab auch für Maßnahmen einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik gelte, „ist hier nicht zu entscheiden“. Man hört förmlich das Aufatmen. Seit jeher hat das Bundesverfassungsgericht in diesen Feldern der Regierung einen weiten Spielraum für allein verantwortliche Entscheidungen eingeräumt. Die Begründung entstammt traditionellem Staatsverständnis: Diplomatie funktioniert nur bei äußerster Diskretion, und wenn das Schießen anfängt, ist keine Zeit mehr zu verlieren.

Aber dieses Staatsverständnis käme schnell in Konflikt mit einem Europa, das einen eigenen Verteidigungsminister hätte. Genauer gesagt: Es käme in Konflikt mit der Sicht auf Europa als einem demokratischen Mängelwesen, das sich notdürftig Legitimation über die nationalen Parlamente beschaffen muss. Diese Fiktion lässt sich aufrechterhalten, solange es bloß um ein – praktisch eher folgenloses – Informationsrecht des Bundestages geht. Spätestens beim europäischen Finanzminister aber ginge es sofort, nun ja, eben ums Ganze.

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