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Matthias Kalle: Ich habe verstanden

Guido Westerwelle hat der "Bravo" ein Interview gegeben, in dem er von einer "wilden" Jugend berichtet - die er möglicherweise niemals hatte.

In meiner Jugend, 14 oder 15 war ich, bin ich mal mit einem Mofa in den Mittellandkanal gefallen. Einmal trank ich Alkohol, da war mir schlecht. Ich flog aus dem Freibad, bekam in der Schule einen Tadel und fuhr mal freihändig Fahrrad. Auf einem Friedhof rauchte ich heimlich eine Zigarette. Heute bin ich in der Lage meine Miete zu zahlen und versuche so gut es geht, der Gesellschaft keinen Schaden zuzufügen. Das interessiert alles nur Gott sei dank keine Sau.

Wie denn Guido Westerwelle so als Teenager war, fragte das Fachblatt „Bravo“ den amtierenden Außenminister. Seine Antwort: „Vor allem richtig frech.“ Huhuihui – und wie machte sich das Freche bemerkbar? Guido Westerwelle erinnert sich an seinen Partykeller: „Da war es schön abgedunkelt, gut zum Feiern. Praktisch war auch, dass man die knarrende Treppe hören konnte, falls dann doch die ältere Generation sich mal nach unten traute. Dann war man vorgewarnt und konnte das Bier verstecken.“

Guido Westerwelle hat also der „Bravo“ ein Interview gegeben – drei Wochen vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen; in den Umfragen sieht es nicht gut aus für seine Partei, die FDP, die noch zusammen mit der CDU das Land regiert. Deshalb diskutieren die Menschen darüber, ob das denn geht: ein Politiker, der einem Jugendmagazin ein Interview gibt. Natürlich geht das, Westerwelle kann reden mit wem er will, seltsam ist aber der Hang von Politiker, von einer wilde Jugend zu erzählen, die sie möglicherweise niemals hatten.

Vor zehn Jahren erzähle der CDU-Politiker Friedrich Merz dem „Tagesspiegel“, dass er in seiner Jugend lange Haare hatte und mit einem Motorrad unterwegs war. Mit 14 habe er angefangen zu rauchen und Bier und Schnaps zu trinken. Kurz nach Erscheinen des Interviews schrieb eine ehemaliger Schulfreund von Merz einen Leserbrief an „Die Zeit“: „Schulterlange Haare? Merz? Nie im Leben! Unser Kumpel hatte schon immer die Frisur, die er heutzutage trägt.“ Ist das schlimm? Nö, das ist überhaupt nicht schlimm, niemand verstößt gegen ein Gesetz, wenn er eine langweilige Jugend gehabt hat – Politiker glauben allerdings, es wäre irgendwie sinnvoll, wenn man sich als ehemalige coole Sau stilisieren würde. Wollen sie damit etwas kompensieren? Wollen sie durch solche Geschichten beweisen, dass sie das Leben mit all seinen Abgründen und Irrungen und Wirrungen kennen? Und glauben sie demnach wirklich, dass das die Bürger interessiert oder ihr Wahlverhalten beeinflusst?

Immerhin bekannte sich Westerwelle im „Bravo“-Interview dazu, in den 70er Jahren Fan von Abba und Suzi Quatro gewesen zu sein. Das hatte man allerdings schon geahnt.

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