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Meinung: Matthies meint: Ich, wir, mich, tot

Die Computer kommen uns immer näher. Gerade hat so ein Ding in Amerika die Texte toter Dichter analysiert und ist darin auf die Spuren von Selbstmordgedanken gestoßen - jedenfalls bei jenen Autoren, die sich später tatsächlich umgebracht haben.

Die Computer kommen uns immer näher. Gerade hat so ein Ding in Amerika die Texte toter Dichter analysiert und ist darin auf die Spuren von Selbstmordgedanken gestoßen - jedenfalls bei jenen Autoren, die sich später tatsächlich umgebracht haben. Erkennungszeichen ist die Häufung von Pronomen wie "ich", "mich" und "mir", die die Isolierung von den Mitmenschen anzeigen; dazu nimmt im dichterischen Werk der Todeskandidaten die Zahl der Wörter ab, die für Kommunikation stehen wie "teilen" oder "sprechen". Ich als ..., also, wir als professionelle Schreiber sind naturgemäß an solchen Analysen besonders interessiert, unabhängig von Tod und Leben. Ist nicht die prägnante Ich-Bezogenheit auch charakteristisch für Personen, die es später zum Regierungschef bringen werden ("Ich will hier rein")? Könnte die andauernde Verwendung von Begriffen wie systematische Redundanzüberhöhung oder synkretistischer Diskursrahmen den späteren Chefredakteur erkennen lassen? Es ist ein wenig schade, dass die Methode im Anfangsstadium immer erst dann verlässliche Aussagen liefert, wenn das zur Prognose anstehende Phänomen bereits eingetreten ist. Dennoch ist sie nicht vergeblich: Lässt z.B. ein Partei-Generalsekretär beleidigende Ausdrücke wie "Politnutte" fallen, so artikulieren sich darin klare Rücktrittsgedanken. Das erkennen wir sogar ohne Computer, nicht wahr?

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