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Meinung: Mazedonien: Sechs kleine Lügen

Mazedonien steht am Rande des Bürgerkriegs. Hält sich die Politik an die Lehre, die sie aus den humanitären Katastrophen in Bosnien und Kosovo ziehen wollte - es nie wieder so weit kommen zu lassen?

Mazedonien steht am Rande des Bürgerkriegs. Hält sich die Politik an die Lehre, die sie aus den humanitären Katastrophen in Bosnien und Kosovo ziehen wollte - es nie wieder so weit kommen zu lassen? Nein, speziell die deutsche Politik scheint alle Zeit dieser Welt zu haben.

Das moralische Tremolo, das die - viel zu späten - Interventionen in Bosnien und Kosovo begleitete, fehlt völlig. Ein Lernerfolg? Eher drängt die Debatte den zynischen Eindruck auf, dies habe vor allem damit zu tun, dass die dramatischen Fernsehbilder (noch) fehlen: Es gibt weder die blutigen Szenen wie aus Sarajevo nach den serbischen Granatangriffen auf Menschen, die nach Wasser anstanden. Noch die weinenden Gesichter vor dem Hintergrund brennender Dörfer, Flüchtlingstrecks und den Berichten über Massenvergewaltigungen. Stattdessen beruhigt man sich mit kleinen Lügen.

Selbstbetrug Nr. 1, offizielle Haltung der Bundesregierung: Die Nato könne erst eingreifen, wenn es einen dauerhaften Waffenstillstand gibt und die albanischen Separatisten die Waffen freiwillig abgeben. - Wozu dann noch Militär? Wenn sich die Gegner sowieso friedlich und verlässlich einigen, reichen ein paar pensionierte Diplomaten, um die Waffen in Empfang zu nehmen.

Selbstbetrug Nr. 2, z.B. Guido Westerwelle: Ein UN-Mandat sei unverzichtbar. - Das braucht man nur, um gegen den Willen der legitimen Regierung zu intervenieren. Hier aber fordern beide Seiten den Nato-Einsatz.

Selbstbetrug Nr. 3 (Teile der Grünen und der SPD-Linken): Militärisch könne man den Konflikt nicht lösen. - Allein politisch jedenfalls auch nicht, sonst stände Mazedonien trotz wochenlanger intensiver Vermittlung durch den EU-Repräsentanten Javier Solana nicht am Rande des Krieges. Der politische (und ökonomische) Druck zugunsten der albanischen Minderheit muss Hand in Hand gehen mit militärischer Präsenz.

Selbstbetrug Nr. 4 (klassische Forderung der Militärs): Vor einer Intervention müsse Klarheit herrschen über das Ziel, die Mittel und wie man wieder herauskommt. Das sei hier nicht der Fall. - Falsch. Mazedonien muss zu einem Protektorat gemacht werden wie Bosnien und Kosovo. Die 3000 Mann fürs Waffeneinsammeln reichen dafür nicht, aber wohl 10 000 bis 15 000 - solange man nur Frieden bewachen und nicht schaffen muss.

Selbstbetrug Nr. 5: Deutschland hat nicht die Mittel. - Kanzler Schröder gibt der Bundeswehr wider besseres Wissen zu wenig Geld. Das kann man korrigieren. Für die ersten Wochen und Monate reichen die bereitstehenden Fallschirmspringer. In der Zeit müssen weitere Truppen ausgebildet und ausgerüstet werden. Die Blöße, dass die Allianz ohne den größten und ökonomisch mächtigsten Nato-Staat Europas eingreift, wird sich Deutschland nicht geben wollen.

Selbstbetrug Nr. 6: Es bestehe eine Wahl, ob man interveniert oder nicht. - Die Intervention im Kosovo hat die Nato bereits in Mazedonien verwickelt. Erstens hat sie die albanischen Nationalisten gestärkt. Zweitens stehen seither tausende Nato-Soldaten dort, weil der Nachschub für die Truppen im Kosovo über Mazedonien läuft. Käme es zum Krieg, müsste die Allianz ihre Einheiten schon zur Selbstverteidigung verstärken. Und wer glaubt eigentlich, dass Europa bei neuen Kämpfen auf dem Balkan lange zuschaut? Alle Fortschritte in Bosnien und Kosovo stünden in Frage. Der Mazedonien-Einsatz kommt so oder so. Heute ist er präventiv viel billiger zu haben, als wenn Europa wartet, bis es wieder zu spät ist.

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