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Medien & Amstetten: Fritzl und die Monster

Das Krankenhaus, in dem die Fritzl-Kinder von ihrem Höllentrip therapiert werden sollen, ist zum Symbol moderner Gefangenschaft geworden - penetriert wird dort mit der Kamera. Aber warum tun Paparazzi so viel für ein Bild der Opfer?

Medienökologisch betrachtet gibt es wenige Orte auf der Welt, die so angenehm ruhig und paparazzifrei sind wie Guantanamo. Gewiss, die medienökologische Betrachtungsweise enthält nicht unbedingt die ganze Wahrheit über das Wesen von Gefangenschaft, aber es gibt Leute, die empfinden Paparazzifreiheit als eine besonders wichtige und weitreichende Form von Freiheit. Familie Fritzl zum Beispiel, die niederösterreichischen Avatare menschheitsweiter Horrorfantasien, die jetzt im psychiatrischen Landesklinikum Mostviertel zu Amstetten-Mauer untergebracht sind.

Das Krankenhaus, in dem die Kinder von ihrem 24-jährigen Höllentrip therapiert werden sollen, ist zu einem Symbol moderner Gefangenschaft geworden, in dem auch die Vergewaltigungsmethoden aktueller sind. Denn penetriert wird mit der Kamera, und zwar durchaus gewaltsam. Die Klinik wird von Fotografen regelrecht belagert; manche graben sich in Erdlöcher ein, andere klettern die Fassade hoch und wieder andere verkleiden sich als Putzkolonne oder sogar als Polizisten, um Zutritt zu den Fritzls zu bekommen und ein Foto schießen zu können.

Hausfriedensbruch, Nötigung, Körperverletzung: für Geld tun manche Pressefotografen alles. Das ist nicht neu, aber was steckt dahinter? Der Marktwert eines solchen Fotos zeigt genau den Grad von Dekadenz an, den die heutige Massenkommunikation erreicht hat. So wie im 17. Jahrhundert Tulpenzwiebeln plötzlich zu absurd hohen Preisen gehandelt wurden, so beruht auch der Kampf um das erste Fritzl-Foto auf nichts als kollektiver Hysterie. Denn so ein Foto selbst ist absolut aussagelos, es beweist nichts außer der Tatsache, dass es demjenigen, der es gemacht hat, gelungen ist, an einen verbotenen Ort vorzudringen. Der Informations- und Aufklärungsgehalt ist gleich null. In dieser Tautologie besteht wahrhaftig die tiefste Begründungsbasis des journalistischen Bebilderungsgeschäfts. Es läuft, weil es läuft; und weil es läuft, läuft es immer hochtouriger. Der Satz des Dichters, dass kein Ding sei, wo das Wort gebricht, ist überholt: nicht Wort, sondern Foto muss es heißen! Fotos zeigen aber nur Dinge, Worte können auch Sachverhalte zeigen. Deshalb versuchen wir immer, den Bildern die Sachverhalte wieder nachträglich anzubuchstabieren. Wir lesen von einem Inzest-Monster und blicken einem triefäugigen und schiefmäuligen Schnurrbartträger ins Gesicht, der durch und durch erledigt aussieht.

Das öffentliche Interesse an diesem Polizeifoto beruht auf der gleichen Imaginationsspannung, die jetzt das Publikum nach dem Gegenstück gieren lässt: Die atemlose Erzählung des Falles in der Presse während der vergangenen Wochen hat eine gigantische Bilderwartung erzeugt, die nur durch baldige Besichtigung der Opfer befriedigt wird. Dann wird sich jeder Medienkonsument als Hobbypsychiater betätigen und die Spuren des Unvorstellbaren in den leeren Gesichtern der Gequälten suchen. Dass die Vorlage für diesen Akt der Andacht ein paar Hunderttausend Euro kostet, sollte eigentlich in Ordnung gehen.

Allerdings ist die dramatische Bilder-Lücke, beziehungsweise das Empfinden einer solchen, erst durch Narration entstanden, und man muss einmal der Frage nachgehen, wie das begonnen hat. Am Anfang der ganzen Paparazziplage steht nämlich die großspurige Bekanntgabe von hochsensiblen Informationen durch Behörden. Selbstverständlich wurden die Medien auf Pressekonferenzen angefüttert. Denn sehr wohl hat der Staat die Möglichkeit, Menschen außer Schussweite von Kameras zu halten. Doch gegen das plumpe Regenbogenpresse-Feeling eines Polizeipräsidenten in der Provinz ist kein Kraut gewachsen. Jetzt beklagen die Ordnungskräfte den Belagerungszustand, den sie selbst verschuldet haben. Bloß den alten Fritzl im Gefängnis scheint niemand zu besuchen. Dabei möchte man ihm nichts lieber wünschen als das Fegefeuer öffentlicher Aufmerksamkeit bis ans Ende seiner Tage.

Der Autor ist Publizist und lebt in Köln und Genf.

Burkhard Müller-Ullrich

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