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Meinung: Mehdorn, der Berauschte

Von Roger Boyes, The Times

Es ist eine der interessanteren Entwicklungen der modernen Psychiatrie, dass nur noch bei sehr wenigen Patienten Megalomanie diagnostiziert wird – zu Deutsch Größenwahn.

Früher waren die Krankenhäuser voll mit Leuten, die sich für Napoleon hielten oder Alexander den Großen. Sie saßen am Frühstückstisch, ohne Messer, ohne scharfkantige Gegenstände, schluckten ihre Pillen und stritten darüber, wer Asien beherrschen oder ob ihr Thron aus Gold oder diamantgeschmückten Elfenbein sein sollte. Nach einer Weile kamen kräftige Krankenschwestern und brachten sie in ihre gepolsterten Zellen zurück.

Mittlerweile ist das Geschichte. Größenwahnsinnige haben ein neues Zuhause gefunden. Bei der Deutschen Bahn etwa. Was sonst hat wohl Bahnchef Hartmut Mehdorn geritten, sich zum Retter des Flughafens Tempelhof aufzuschwingen? Es reicht ihm wohl nicht, eine Armada von Lokführern und Schaffnern zu befehligen – jetzt greift er auch noch zum Himmel. Ist nicht der DB-Tower auf dem Potsdamer Platz so etwas wie ein modernes Neuschwanstein?

Hartmut, der Wahnsinnige. Eiferte er Ludwig von Bayern, seinem Vorfahren im Geiste, nach, als er die Glasdächer im Hauptbahnhof abschnitt wie Salamischeiben? Jetzt will dieser Mann ganz Deutschland aufschneiden. Mehdorn der Große: Er ist im Rausch. Sein Tempelhof-Angebot: nichts weiter als Populismus, um von den Machtspielchen um den Börsengang abzulenken.

Allein schon die Sache mit dem BND. Ich versuche noch immer zu verstehen, wie die DB – ein Unternehmen noch immer mehrheitlich im Staatsbesitz! – sich weigern konnte, dem Geheimdienst Baugrund für sein neues Hauptquartier abzutreten. Wer hat die Macht? Mehdorn oder Merkel? Die Arroganz der DB, sie ist auf allen Ebenen angekommen. Die Gesellschaft Aurelis etwa, die für Vermarktung ehemaliger Bahnflächen zuständig ist, will 140 Luxusapartments in Grunewald bauen – in einer potthässlichen Gegend am Bahngleis. Weil die DB so viel Geld wie möglich einsammeln muss, bevor der Börsengang kommt, trampelt sie mit der Grazie eines blinden Elefantenbullen umher, um ihr Ziel zu erreichen. Zuerst wollte Aurelis ein Café abreißen und eine Straße neben Berlins einzig authentischen Holocaust-Mahnmal, dem Gleis 17 bauen, damit Lastwagen die neuen Grunewald-Villen erreichen können. Eine Bürgerinitiative hat das verhindert. Stattdessen kaufte die Firma ein Haus, um es seinerseits abreißen und eine neue Zugangsstraße bauen zu können – ein Verkehrsknotenpunkt mitten in der historischen Villenkolonie in Grunewald wäre die Folge – und das alles, nur um Apartments anzubinden, die keiner kaufen will. Lächerlich? Klar. Besser wäre es, entweder ein bisschen bescheidener oder eben gar nicht zu bauen. Doch Bescheidenheit ist keine Eigenschaft, die Hartmut den Wahnsinnigen auszeichnet.

Warum zeigt keiner der DB ihre Grenzen auf? Die Arroganz ihres Spitzenmanns ist ansteckend. Der Zugverkehr wird schlechter, der Service auch, und die Mitarbeiter (zumindest ist das meine Erfahrung) unfreundlicher. Offenbar führt Mehdorns Großtuerei dazu, dass sich jeder einfache DB-Beschäftigte ermuntert fühlt, mit dem Charme eines Hafenarbeiters aufzutreten. Denken die etwa, nach dem Börsengang hätten sie keine Verantwortung mehr gegenüber der Öffentlichkeit, nur noch ihrem Chef gegenüber? Immerhin will die Bundesregierung die Kontrolle über das Schienennetz behalten. Öffentliche Infrastruktur, konkurrierende Zugbetreiber – das ist der richtige Weg. Doch Mehdorn sagt, die Trennung wird schlimm enden, und warnt vor einem Chaos auf der Schiene wie in Großbritannien. Der wahre Grund ist klar: Er will das Monopol der DB behalten. Er gibt sich als Fan von Privatisierung und Börsengang, doch eigentlich hasst er den Wettbewerb.

Warum? Hartmut der Wahnsinnige war einmal ein erfolgreicher Manager in der Privatwirtschaft. Jetzt hat er sich verliebt – in die Macht. Wir sollten ihn behutsam abführen lassen mit der starken Hand eines männlichen Krankenpflegers, und es ihm erlauben, wenn er schreit: „Ich bin Kaiser Hartmut der Erste. Ich beherrsche die ganze Welt!“ – „Ja“, würden wir antworten, voller professioneller medizinischer Geduld.

„Ja, Dr. Mehdorn. Und jetzt schlucken Sie bitte Ihre Pillen.“

Aus dem Englischen übersetzt von Sebastian Bickerich.

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