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Meinung: Mehr Ehrgeiz bitte – und mehr Muskeln Europa hat es in der Hand,

ob sich das transatlantische Verhältnis entspannt / Von Herfried Münkler

Europa wird größer. Was kann die bald 450 Millionen Europäer verbinden? Wo liegen die Gemeinsamkeiten, wo die Meinungsverschiedenheiten? In einer gemeinsamen Serie von Tagesspiegel und DeutschlandRadio Berlin suchen prominente Europäer Identität und Perspektiven des künftigen Europa. Zu hören sind die Beiträge sonntags um 12 Uhr 10 im DeutschlandRadio Berlin (UKW 89,6).

Wie die europäischamerikanischen Beziehungen zukünftig beschaffen sein werden, entscheidet sich vor allem in Europa – und weniger in den USA. Das mag in Anbetracht der europäischen Ohnmachtserfahrungen im jüngsten Irakkrieg überraschend klingen. Aber es war und ist gerade dieser Krieg, der den Europäern ultimativ die Frage vorgelegt hat, ob sie ein weltpolitischer Akteur sein wollen oder nicht. An dieser Antwort entscheidet sich die Zukunft der europäisch-amerikanischen Beziehungen.

Es wäre falsch anzunehmen, dass sich diese Beziehungen um so besser gestalten, je größeren Abstand die Europäer zur Rolle eines weltpolitischen Akteurs halten. Probleme und Spannungen zwischen Europa und den USA wird es geben, gleichgültig wie sich die Europäer entscheiden. Aber es werden, je nach dem, unterschiedliche Probleme und Spannungen sein: solche, die aus Enttäuschung und Ressentiment erwachsen, oder aber Interessenkonflikte und Dissens über richtige Lösungen. Es spricht vieles dafür, dass letztere leichter zu bearbeiten und für die Weiterentwicklung der Beziehungen produktiver sind.

Welchen Weg die Europäer aber auch immer gehen werden – es gibt eine Fülle von Gründen, die Beziehungen zwischen Europa und den USA auch in Zukunft zu pflegen und sie als das Herz weltpolitischer Stabilität zu begreifen. Eine dauerhafte Entfremdung zwischen Europa und den USA würde nicht nur erhebliche Folgen für diese selbst haben, sondern auch zu einer globalen Destabilisierung führen, mit einem Anstieg regionaler Konflikte und Kriege als Folge.

Die USA und Europa stellen aber nicht nur eine stabilitätspolitische Zweckgemeinschaft dar, sondern stehen sich auch von ihren politischen Ordnungen, von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, schließlich von ihren Werten und Lebensformen her am nächsten. Die Selbstbehauptung Europas gegenüber den USA ist darum nicht mit einem Konfrontationskurs zu verwechseln. Vielmehr geht es um die Herstellung von Konstellationen, in denen die Europäer nicht länger ein bloßes Anhängsel der amerikanischen Politik sind. Diese Veränderungen werden beiden Seiten nicht leicht fallen. In ihrem Gefolge werden die Amerikaner den Europäern einen größeren politischen Einfluss einräumen müssen. Aber die Europäer müssen zunächst die politischen und militärischen Voraussetzungen dafür schaffen, dass sie dies den Amerikanern auch abverlangen können. Insofern sind die Europäer als erste am Zug.

Ob die Europäer freilich die Kraft und Entschlossenheit haben, diesen Zug tatsächlich zu machen, wird sich erst noch zeigen müssen. Unter dem unmittelbaren Eindruck der Demütigungen und Ohnmachtserfahrungen im Vorfeld des Irakkrieges konnte man den Eindruck haben, dass tatsächlich die Bereitschaft zu einer größeren politischen wie militärischen Integration vorhanden war. Die Einbußen an Entscheidungskompetenz, die die Nationalstaaten dann hinnehmen müssen, sind jedoch schmerzlich, und so könnte es sein, dass die kurzzeitig erkennbar gewordene Bereitschaft zu einer stärkeren Integration der militärischen Fähigkeiten und zu einer nicht an Einstimmigkeit gebundenen Beschlussfassung in außenpolitischen Fragen sehr schnell wieder nachlässt.

Auch bei einer umfassenden Integration der militärischen Fähigkeiten wird Europa weit vom US-Potential entfernt bleiben. Zwar haben die Europäer zur Zeit mehr Soldaten unter Waffen als die USA und ihre aufaddierten Militärausgaben betragen immerhin 60 Prozent der US-Ausgaben. Aber der Vorsprung der Amerikaner ist so groß, dass die Europäer sich erheblich anstrengen müssen, um vielleicht ein Viertel der amerikanischen Fähigkeiten zu erlangen. Europa wird mit den USA in Sachen Militärpotential nicht gleichziehen können, aber das ist auch keineswegs erforderlich.

Viel entscheidender wird sein, unter welchen strategischen Direktiven die Europäer ihre begrenzten Kräfte und Fähigkeiten ins politische Spiel einbringen wollen. Konkret: ob sie ihre Potentiale wesentlich der Uno zur Verfügung stellen, um deren Fähigkeiten zu stärken und so die Dominanz der USA in Schach zu halten. Das freilich würde den Einfluss- und Machtabstand zwischen Europa und den USA nicht verringern, sondern eher vergrößern: die Europäer würden dann in das kollektive Gut internationaler Organisationen investieren, während die USA ihre Potentiale vor allem für die Sicherung und Durchsetzung ihrer eigenen Interessen gebrauchen könnten. Der Verzicht auf nationalstaatliche Souveränität würde dann kaum durch einen Zuwachs an europäischem Einfluss in der Weltpolitik ausgeglichen. Wenn Europa in die Uno als Gegenspieler der USA investiert, dürfte es obendrein zu erheblichen Konflikten mit den USA kommen, bei denen die Europäer, wie zuletzt im Vorfeld des Irakkrieges, ein ums andere Mal den kürzeren ziehen werden. Die Alternative ist die Entwicklung eines eigenen weltpolitischen Gestaltungswillens der Europäer, der mit den amerikanischen Ambitionen qua Interessenausgleich zur Deckung zu bringen ist. Das würde das europäisch-amerikanische Verhältnis auf eine solide Basis stellen. Freilich um einen nicht unerheblichen Preis: den einer weiteren Schwächung der Uno. In dieser Frage müssen sich die Europäer entscheiden.

Der Autor, geboren 1951 in Friedberg, ist Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Er ist mit zahlreichen Studien zur politischen Ideengeschichte und zur Theorie des Krieges hervorgetreten. Zuletzt sind von ihm erschienen: „Die neuen Kriege“ und „Der neue Golfkrieg“ (beide bei Rowohlt). Foto: akg

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