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Meinung: Mehr Ostpolitik wagen

Schröder und Fischer haben Polen ignoriert. Das war ein Fehler Von Michael Wolffsohn

Perspektivlos und phrasenreich war die deutsche Polenpolitik der letzten Jahre. Große Chancen wurden vertan. Welt- und europapolitisch hat die rot-grüne Koalition gemeinsam mit Frankreichs Jacques Chirac seit dem Vorspiel zum Irakkrieg (2002) das junge EU-Mitglied Polen, ebenso wie andere „kleine Neue“, zum immer engeren Partner der USA verwandelt und verbandelt. Das genaue Gegenteil dessen, was Berlin und Paris wollten. Zum Glück hat der designierte Außenminister Frank-Walter Steinmeier jetzt versprochen, Irritationen mit Polen auszuräumen.

Gefühlsgeladen diskutierte man auch über das Pro und Contra eines Zentrums gegen Vertreibungen mit seinen vermeintlich germanozentrisch revanchistischen Tendenzen. Mehr Schein als Sein, Unterstellungen statt Fakten – auf beiden Seiten. Beide Völker wissen ums eigene wie um des anderen Volkes Leid. Und warum kann, soll, darf es keine Teilerinnerung geben: zwischen den Völkern und im jeweiligen Volk?

Als vermeintliche Buhleute der deutsch-polnischen Beziehungen gelten die Initiatoren jenes Zentrums: Erika Steinbach (CDU) und der leider so früh verstorbene SPD-Denker Peter Glotz, dessen analytische Schärfe seiner Partei heute fehlt. Steinbach und Glotz gefährdeten die deutsch-polnische Versöhnung, hörte man oft. Auch Gerhard Schröder stieß in dieses Horn, sogar in Warschau.

Ganz anders Willy Brandt vor genau 35 Jahren. Man erinnere sich: Die deutschen Vertriebenen machten ihm wegen seiner Ostpolitik seit 1969 die Hölle heiß. Ihre wüsten, üblen Attacken setzten dem ersten SPD-Bundeskanzler heftig zu. Als Wladislaw Gomulka, damals die Nummer eins im „volksdemokratisch“ kommunistischen Polen, bei ihrem Warschauer Vier-Augen-Gespräch am 7. Dezember 1970 die deutschen Vertriebenen kritisierte, entgegnete Brandt: Man dürfe nicht nur die tagespolitischen Attacken, man müsse auch das Leid Millionen vertriebener Deutscher sehen. So gesprochen unmittelbar nach dem unvergesslichen Kniefall am Warschauer Ghetto-Mahnmal, der politischen Nobelgeste Deutschlands. Nichts vom Geist dieser Vision kennzeichnete Deutschlands Polenpolitik der letzten Jahre. Die Verantwortung dafür tragen aber nicht Steinbach und Glotz, sondern die Regierung Schröder/Fischer. Im alles entscheidenden Alltag wurden Polen aus dem angeblich so (welt-)offenen Europa schlicht verstoßen. Wie Frankreich unter dem konservativen Chirac fürchtete das rot-grüne Deutschland (wie alle EU-Mitglieder außer Großbritannien, Irland und Schweden) den preisgünstigen und arbeitswütigen polnischen Handwerker mehr als Teufel und Beelzebub zusammen.

Das war und ist politisch, menschlich und moralisch bedenklich. Wirtschaftlich scheint es klug – freilich nur kurzfristig. Der Arbeitsplatz des deutschen Metzgers bleibt nämlich gefährdet, weil deutsche und andere Auftraggeber, zumal große, sich direkt in Polen umschauen.

Anders als die deutsche Wirtschaft läuft die britische, irische und schwedische gut. Der Zuzug der Neu-EU-Bürger aus Polen (auch Litauern und Letten) hat, so die Experten, die britische, irische und schwedische Volkswirtschaft zusätzlich kräftig in Schwung gebracht und die Sozialkassen gefüllt. Im vergangenen Jahr kamen rund 16000 Polen monatlich nach Großbritannien.

Da diese bürgerlichen, aufstiegsmotivierten, integrationswilligen und -fähigen Polen zudem geburtenfreudig und kinderfreundlich sind, braucht man nicht viel Phantasie, um auch den demographischen Nutzen dieser Zuwanderer einschätzen zu können.

Der Visionär Willy Brandt fehlt heute mehr denn je, auch in den deutsch-polnischen Beziehungen. Der Autor ist Historiker. In diesen Tagen erscheint sein neues Buch „Denkmalsturz? Brandts Kniefall“ (Olzog Verlag, München).

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