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Geld kriegen für's Zuhausebleiben? Hatice Akyün ist dagegen.

© ddp

Mein Berlin: Die "Herdprämie" ist ein Kuhhandel auf Pump

Beim Thema Betreuungsgeld steigt bei unserer Kolumnistin der Blutdruck. Mit dem Geld ließe sich locker die Lücke der fehlenden Kinderbetreuungsplätze schließen, meint sie.

Endlich wird es kalt in Berlin. Nicht, dass ich mich danach sehne. Diese dunkle, nasse Jahreszeit saugt einem die letzte Herzenswärme aus dem Körper. Aber auf das Wetter kann man sich wenigstens verlassen. Frauen benötigen Verlässlichkeit, Berechenbarkeit und eine klare Orientierung. Haben wir all das nicht, fällt unser Multitaskingtalent in sich zusammen, und der Tag endet im Chaos. Vielleicht haben wir deshalb auch einen inneren Kompass, der uns warnt, sobald die Himmelsrichtungen verschwimmen. Dann kommt unser Koordinatensystem durcheinander, und ein Vakuum droht. Egal worum es geht, egal gibt es bei uns nicht. Wir brauchen Verbindlichkeit.

So ganz ohne Schuld sind wir an der Situation allerdings nicht. Wir lassen es zu, dass jedes Thema, das uns betrifft, so lange durchgekaut, gewendet und begutachtet wird, bis die Argumente dafür oder dagegen püriert wie Babynahrung aus dem Gläschen sind. Das führt dazu, dass wir genervt sind und von Frauenquote, Gleichberechtigung, Betreuungsgeld und Kitaplätzen nichts mehr hören wollen. Diese Prozedur der entpolitisierenden Langsamkeit macht uns mürbe. Und selbst dann, wenn einer einmal markige Worte macht, transportiert er doch nur seinen Namen, aber ganz sicher keine sinnvollen Inhalte.

SPD und CDU liegen sich in Berlin jetzt so in den Armen, dass keiner mehr eine Hand zum Handeln frei hat. Dabei wollten CDU-Wähler eigentlich nur nicht wieder untergehen. Die Schwarzen sind gar nicht konservativ, eher so merkelig meinungsfrei nach Mehrheiten ausschauend. Der Journalist Ernst Dieter Lueg soll einmal zu einem Politiker gesagt haben: „Sagen Sie mir, was ich Sie fragen soll, damit es Ihnen leichter fällt, zu antworten.“

Nun hat die CDU also den Mindestlohn entdeckt. Damit es aber nicht so plagiiert wirkt, heißt er bei ihnen Lohnuntergrenze. Ob es den Menschen hilft, sich aus eigener Kraft ernähren zu können, ist stark zu bezweifeln. Ja, ja, die Globalisierung, wegen der Millionen Deutsche zum Haareschneiden nach Moldawien fliegen und billige Asiaten unsere Post in Indien sortieren, ich vergaß.

Den Gipfel der Verantwortungslosigkeit leistet sich die schwarz-gelbe Regierung jedoch mit dem Betreuungsgeld, im Volksmund auch Herdprämie genannt. Es ist kein zusätzliches Angebot für die freie Entscheidung der Eltern, ihnen die Erziehung ihrer Kinder bis zum dritten Lebensjahr zu ermöglichen. Das Betreuungsgeld ist ein doppelter Offenbarungseid und so perfide, dass mein innerer Kompass geradezu rotiert. Der Staat begeht einen Kuhhandel mit jenen Eltern, denen das Geld jetzt schon vorne und hinten nicht reicht. Die Herdprämie soll dummdreist kaschieren, dass zum Ausbau von Kitas nicht genügend Mittel zur Verfügung stehen. In der Mitte und oben bleibt man weiter unter sich, und der untere Teil der Gesellschaft bleibt wie immer außen vor.

Sechs Milliarden Euro Steuergeschenke auf Pump, die oben für ein Lunchpaket reichen und unten für ein Butterbrot. Um die FDP wiederzubeleben, scheint jedes beliebige Mittel recht. Für sechs Milliarden Euro könnte man locker die Lücke der fehlenden Kinderbetreuungsplätze schließen. Das wäre nicht beliebig, sondern verbindlich.

Oder wie mein Vater sagen würde: „Aynasi istir kisinin, lafa bakilmaz“ – der Spiegel des Menschen sind seine Taten, auf die Worte kommt es nicht an.

Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Ihre Kolumne erscheint jeden Montag.

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