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Mein Blick: Beck ist de Gaulle und Thatcher

Kurt Becks trickreiches Heranmogeln an neue Konstellationen wirft grundsätzliche Fragen auf. Muss der Wähler alles vorher wissen?

Es stimmt, die Sache war weder gut vorbereitet noch hinreichend beraten oder gar sinnvoll kommuniziert. Die handwerklichen Fehler Kurt Becks sind unübersehbar und ausführlich diskutiert worden. Auch in der Sache selbst kann man durchaus verschiedener Meinung sein. Noch ist nicht ausgemacht, was die Linke klein hält, Ausgrenzung oder Einbindung in die mühselige Regierungsarbeit. Durchschlagende Erfolge gab es weder so noch so, allerdings immer noch die größeren in Schwerin und Berlin, wo die Linke an der Macht eher schwächer als stärker wurde.

Doch Kurt Becks trickreiches Heranmogeln an neue Konstellationen wirft auch ganz grundsätzliche Fragen auf: Muss der Wähler vorher wissen, was Politiker nachher anstellen? Ein moralisches, demokratie-theoretisches Urteil ist schnell gefällt: Ja, er muss es wissen, um darüber zu entscheiden und eben auch die Möglichkeit der Ablehnung zu haben. Frau Merkel und Herr Kirchhoff haben das bitter erfahren. Doch ehe die Kritik an Beck von zu viel Moral trieft, ist ein Blick in die Geschichte nützlich: Nur selten haben große Kehren – vorab – die Zustimmung der Wähler gehabt. Ludwig Erhards Einführung der Marktwirtschaft ist nicht zur Wahl gestellt worden und wäre 1949 – ehe Erfolge sichtbar waren – von den Wählern auch nicht honoriert worden. Das Gleiche gilt für die Westbindung und die Wiederaufrüstung. Erst als die Sache funktionierte, die Menschen wohlhabender wurden und Amerika den Deutschen die Angst vor den Russen nahm, haben die Wahlerfolge der CDU nachträglich die Richtigkeit des Kurses bestätigt. Und auch die Einführung des Euro ist – wohlweislich – weder vorher noch nachher zu einem Wahlkampfthema gemacht worden. Die Deutschen wollten die Wiedervereinigung und der Euro war der europäische Preis dafür.

Wie in Deutschland so in Frankreich, England und Amerika: De Gaulle wurde 1958 für die Bewahrung Algeriens an die Spitze des Staates geholt und nicht für dessen Preisgabe. Auch Margaret Thatchers erst nach den Wahlen zutage tretender Wille zu radikalen Reformen war den Wählern am Anfang eher unsympathisch. Und hätten Wilson und Roosevelt die Wähler befragt, wären die Vereinigten Staaten weder in den Ersten noch in den Zweiten Weltkrieg eingetreten.

Demokratie, so muss man es wohl sehen, erfordert ein ununterbrochenes Balancieren zwischen Führung und Zustimmung, zwischen nackter und gerade noch erträglicher Wahrheit, zwischen den ausgeprägten konservativen Instinkten der vielen und den oft als Notwendigkeiten formulierten Wünschen der politischen und wirtschaftlichen Eliten. Dabei kann man ausrutschen wie es jetzt dem SPD-Vorsitzenden und seiner hessischen Statthalterin passiert ist, doch ihr Dilemma sollten auch die Kritiker anerkennen.

Wie hat das Churchill so unnachahmlich ausgedrückt: Die Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen ausgenommen alle anderen. Nach der letzten Bundestagswahl dachten einige Wirtschaftsführer deshalb ans Auswandern, weil sie die vermeintliche Unvernunft der Wähler nicht länger glaubten ertragen zu können. Kurt Beck hat versucht, sich anders zu behelfen.

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