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MEIN Blick: Die Sirenenklänge werden nicht verstummen

Eine große Mehrheit der Deutschen hat sich Franz Müntefering zurückgewünscht. Doch das Problem der SPD ist der Inhalt, nicht das Personal.

74 Prozent der Deutschen würden sich für Barack Obama entscheiden und eine fast ebenso große Mehrheit hat sich Franz Müntefering zurückgewünscht. Da sage noch einer, die Deutschen seien ein politisches Volk. Nicht dass der Senator aus Illinois und der ehemalige SPD-Vorsitzende und Vize-Kanzler keine überzeugenden Politiker wären, doch der Wunsch zielt auf die charismatische Persönlichkeit, nicht auf politische Inhalte. Man wird sehen, ob ein gewählter Präsident Obama der Traumvorstellung seiner deutschen Fangemeinde entsprechen kann, Franz Müntefering kann es bestimmt nicht. Auch Willy Brandt wäre hier überfordert. Denn das Dilemma der SPD ist nicht die Unzulänglichkeit ihrer führenden Persönlichkeiten, auch wenn manchen Kurt Beck zu provinziell war und anderen Frank- Walter Steinmeier zu farblos ist.

Nicht der Mangel an Charisma, sondern das Fremdeln mit den politischen Inhalten haben die SPD auf demoskopische Talfahrt geschickt. Ein großer Teil ihrer Anhänger empfindet die mit der Agenda 2010 durchgesetzten Einschnitte und Kürzungen als ungerecht und möchte wieder einen größeren Anteil vom Kuchen. Auch Willy Brandt könnte diese Wähler mit keinem Kniefall davon überzeugen, dass in Zeiten der Globalisierung Kapitaleinkommen steigen und Arbeitseinkommen stagnieren müssen. Und alle noch so ehrenwerten Versuche von Netzwerkern und Bildungseuphorikern, diese Schere mittels Aufstieg durch Lernen zu schließen, sind letztlich kein Rezept gegen jene menschlichen Ungleichheiten, die allzu viele von diesem Königsweg ausschließen.

Das Fehlen anständig bezahlter, sozial sicherer und menschenwürdiger Arbeit für jene, die nicht an Studium und Hochschule denken können, ist die Achillesferse der SPD im Zeitalter der Globalisierung, seit Die Linke behauptet, man müsse denen da oben, den Reichen wie den nicht ganz so Reichen, nur genügend nehmen, um dieses Problem zu lösen. Da SPD- Anhänger und Wähler in steigender Zahl diesen Sirenenklängen folgen und man sie nicht an den Mast des sozialdemokratischen Schiffes binden kann, womit sich einst Odysseus rettete, wird wohl auch Franz Müntefering die Partei nicht aus der Krise führen.

Wenn die Führung etwas für richtig hält, was die Wähler nicht wollen, hilft auch Charisma nicht gegen Liebesentzug. Schlesien war längst verloren und der Wohlstand schien sicher, als Willy Brandt auf die Knie ging. Es ist eben allemal leichter, auf verlorene Provinzen zu verzichten als auf soziale Sicherheiten im stetigen Wandel. Nichts und niemand kann der SPD den Balanceakt ersparen: entweder linker Populismus in der Opposition oder Regierungsmacht à la Wowereit, in der sich die SED-Nachfolger an der Realität wundstoßen. Dazwischen bleibt – wie gehabt – nur die Juniorpartnerschaft in der großen Koalition.

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