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Mein Blick: Fixiert auf das Niewieder

Hitler ist längst ins historische Dunkel abgetaucht. Aus der Geschichte zu lernen heißt nicht, auf die Wiederkehr des Gleichen zu starren.

Endlich hat es einmal geklappt. Was zwölf Jahre lang am lebenden Objekt misslang, wurde an einer Wachsfigur vollzogen – das erfolgreiche Attentat auf Adolf Hitler. Nachholenden Widerstand nennt man so etwas wohl, wenn symbolisch und ohne großes Risiko die Welt wieder in Ordnung kommt, die im Seelenhaushalt der Deutschen noch immer aus den Fugen ist. Nicht die auf einer bierseligen Wette beruhende „Befreiungstat“, sondern die politischen Reaktionen davor und danach lassen an manchem Verstand zweifeln. Da wurde von Spitzenpolitikern und Gewerkschaftsbossen mit sorgendurchfurchter Stirn in die Kamera geschaut und über die von einer Wachsfigur ausgehende Gefahr räsoniert wie über das iranische Atomprogramm.

Es ist schon so, je länger die historischen Schatten werden, desto aufgeregter und irrationaler wird unser Umgang mit der Geschichte der berüchtigten zwölf Jahre. Dass in London, Paris und Hamburg Hitler, Goebbels und die ganze Mischpoke ungerührt hinter Glas auf die Besucher warten, gilt den Aufgeregten nichts. Und kein Argument ist abwegig genug, um es nicht zu benutzen: Das dümmste lautet, in Berlin, wo der Massenmord organisiert wurde, ginge es eben nicht, als ob nur Berlin und die Berliner für die deutsche Daseinsverfehlung haftbar gemacht werden können und Hamburg ein Zentrum des Widerstands war.

Joachim Fest beginnt seine große Hitler-Biografie aus dem Jahre 1973 mit einer Betrachtung über „Hitler und die historische Größe“, nicht um diesen nachträglich zu reinigen, sondern um den Unterschied zwischen einem bloß gewaltigen, destruktiven Energieausbruch und wahrer geschichtlicher Größe aufzuzeigen. Doch selbst das, so kürzlich ein bekannter Verleger, dürfte heute wohl nicht mehr geschrieben oder gar gedruckt werden. Die Deutschen sind so fixiert auf das Niewieder, dass sie in der Gefahr stehen, Thomas Manns A.H. mythisch zu überhöhen und diese eine längst ins historische Dunkel abgetauchte Figur stets von Neuem als Gefahr zu beschwören. Dabei übersehen sie gern, dass aus der Geschichte zu lernen nicht heißt, auf die Wiederkehr des Gleichen zu starren. Sollte unsere demokratische Gesellschaft in Gefahr geraten, wird diese Gefahr ein anderes Gesicht tragen, als das uns bekannte mit Oberlippenbärtchen und angeklebter schwarzer Scheitelfrisur. Auch ein paar Unbelehrbare, die noch jede Gesellschaft kennt, und die man weder durch Aufklärung noch durch Erinnerung erreichen kann, ändern daran nichts.

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