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Meinung: Mein Fünf-Punkte-Plan für eine bessere Schule

Bildungspolitik scheint oft unendlich schwierig zu sein. Ich sehe das etwas einfacher / Von Jürgen Zöllner

W ir leben in einer Zeit großer gesellschaftlicher Veränderungen. Wir wissen, dass die Zukunft ganz anders werden wird, aber wir wissen noch nicht genau wie. Nur mit Mut, Freiheit, Kreativität, aber auch Selbstkritik gewinnt eine Gesellschaft Reaktionsfähigkeit. Berlin, als einer der spannendsten und zugleich perspektivreichsten Orte auf dieser Welt, verfügt über genau diese Anlagen – und nur über Bildung und Wissenschaft werden wir sie erschließen. In der Wissensgesellschaft ist Bildung der Schlüssel für eine sozial gerechte und demokratische Gesellschaft, für persönliche und gesellschaftliche Zukunftsfähigkeit. Wissen und Bildung sind Berlins Trümpfe und die einzige wirkliche Chance dieser Stadt, der Industriestruktur fehlt. Auf der Suche nach einem dauerhaften Weg für Arbeit, Wohlstand und Gerechtigkeit in der globalisierten Welt hat die kreative Metropole Berlin mit ihrer reichhaltigen Wissens- und Bildungslandschaft eine Vorreiterrolle. Wir müssen diese Vorreiterrolle ausfüllen. Dafür brauchen wir unter anderem eine Aufbruchstimmung in der gesamten Stadt – und nicht nur in seinen bereits prosperierenden Segmenten.

Bildungspolitik scheint oft unendlich schwierig zu sein. Ich sehe das etwas einfacher. Mit vier Grundprinzipien lassen sich Maßnahmen für eine gute Bildungspolitik bewerten:

Das Ziel ist die optimale Förderung jedes einzelnen Kindes.

Wir Menschen sind zum Glück alle ganz unterschiedlich.

Es geht nicht um Wollen, sondern um Können: Was man tut, muss funktionieren.

Wir brauchen die Akzeptanz der Betroffenen, denn nur zur Sklaverei, nicht aber zur Freiheit – auch nicht zum Lernen – kann man gezwungen werden.

Dass Bildung nicht in der Schule beginnt, ist inzwischen in den Köpfen angekommen. In Berlin befinden wir uns in der glücklichen Situation, dass es bereits in der Praxis angekommen ist, zum Beispiel das „Kita-Bildungsprogramm“, dessen Umsetzung und Evaluation. Hier ist Berlin schon jetzt quantitativ und qualitativ spitze, ohne dass wir uns darauf ausruhen dürfen. Das ist eine gute Basis für die Weiterentwicklung der Berliner Schullandschaft, die für mich in fünf Herausforderungen besteht:

1. Alles ist nichts, wenn die Lehrkräfte nicht da sind: Unterricht sichern. So wird im neuen Schuljahr die Ausstattung der Schulen mit Lehrkräften auf eine bessere Basis gestellt: Die Schulen werden zu Beginn des Schuljahres mit Personal in Höhe von 100 Prozent des anerkannten Unterrichtsbedarfs ausgestattet. Der anerkannte Unterrichtsbedarf besteht im Durchschnitt aus 80 Prozent Pflichtunterricht nach der Stundentafel und zu 20 Prozent aus freiwilligem Unterricht. In diese hundertprozentige Ausstattung werden langzeitig nicht verfügbare Lehrkräfte (zirka vier Prozent) nicht einbezogen. Die 100 Prozent werden ergänzt durch eine zusätzliche dreiprozentige Vertretungsreserve. Das ist quantitativ deutlich mehr als in anderen Bundesländern. Ich unterschätze dennoch nicht, dass die Feinsteuerung der Zuweisung ein noch zu lösendes schwieriges Problem bleibt. Damit die Lehrkräfte den Rücken frei haben für den Unterricht, sind zusätzlich Sozialarbeiter und Erzieher an den Schulen und unterstützen die Lehrkräfte in der Bildung und Erziehung.

Zu lösen bleiben aber noch die langfristige Planbarkeit und die Verlässlichkeit. Ein stabiler Korridor für Neueinstellungen von 2450 Lehrkräften bis 2011 ist dabei ein wichtiger Schritt. So können wir auch verstärkt junge Nachwuchskräfte für Berlin gewinnen.

2. Motivation und lebenslanges Lernen gelten überall: auch für den Lehrerberuf. Dass ausreichend viele Lehrkräfte an Bord sind, reicht allein nicht aus. Die Lehrkräfte müssen auch motiviert sein. Ich arbeitete unter Hochdruck daran, dass Lehrkräfte die Gewissheit haben, dass sie sich auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren können, nämlich guten Unterricht. Wir haben zu viele unnötige Regelungen und Verfahren. Mit Beginn dieses Schuljahres habe ich daher ein Sofortprogramm zum Bürokratieabbau auf den Weg gebracht, das Schulleitungen und Lehrkräfte entlastet. Ich will insgesamt ein neues Ressourcenbewusstsein wecken: Bei jeder neuen Maßnahme muss meine Verwaltung die Arbeitszeit abschätzen, die eine Lehrkraft dafür aufwenden müsste.

Unbestreitbar muss die Fort- und Weiterbildung verbessert werden. Ich plane, schrittweise ein wirklich nachfrageorientiertes Fort- und Weiterbildungssystem aufzubauen. Das wird aber nur dann funktionieren, wenn wir die Schulen mit einem eigenen Budget ausstatten, damit sie ihre Qualifizierungsbedarfe zielgenau buchen können. Denn die Schulen wissen am besten, was sie brauchen.

3. Berlin ist Freiheit und Kreativität und übernimmt Eigenverantwortung für sich – das gilt auch für die Berliner Schule. Nur wer sicher sein kann, dass er wirklich gestalten kann, wird innovativ. Dieses bedeutet aber – und das müssen die Akteure von Schule ebenfalls verinnerlichen – auch ein Mehr an Verantwortung, Bereitschaft und Fähigkeit, Erfolg und Bemühen stetig zu hinterfragen. Wir müssen wegkommen von einem hierarchischen System, das versucht, Lernen, Lehren und Schulorganisation im Detail von oben zu steuern. Wissensvermittlung und -aneignung können nur in einem modernen Bildungssystem gelingen, das selbstgesteuertes Lernen und individuelle Kompetenzentwicklung fördert. Ich will hin zur lernfähigen Organisationseinheit Schule mit eigenverantwortlicher Schulleitung und Lehrkräften, die wir in die Lage versetzen, notwendige Bildungsziele auf ihren eigenen Wegen zu erreichen. Nur so können wir die unterschiedlichen jungen Leute fördern und ein breites Spektrum von Wissens- und Kreativitätspotenzial heranbilden, das in der Lage ist, die komplexen Zukunftsprobleme anzupacken.

Größere Eigenverantwortung ist eine wesentliche Voraussetzung für gute Schulen. Dazu gehört, dass sich alle Schulen mehr als bisher das geeignete Personal aussuchen. Denn nur so sind Schul- und Personalentwicklung sinnvoll machbar. Dazu zählt die Organisation von Vertretung bei einem kurzfristigen Unterrichtsausfall. Wir sind an die Grenzen einer zentralen Steuerung gelangt. Schulen müssen hier umgehend mit befristeter Vertretungseinstellung reagieren können. Ich habe deshalb ab diesem Schuljahr einen Systemwechsel vollzogen, an dem sich die Schulen freiwillig beteiligen können. 622 (82 Prozent) budgetierte Schulen erhalten ab diesem Schuljahr jeweils drei Prozent ihres anerkannten Unterrichtsbedarfs als Vertretungsreserve. Damit können sie sich selbst Personal suchen oder auf die zentrale Datenbank zugreifen. Nicht verwendete Mittel können sie teilweise in das nächste Haushaltsjahr übertragen oder für Honorarkräfte in befristeten pädagogischen Projekten verwenden. Ich werde schrittweise die Bewegungsmöglichkeiten erweitern, an denen Fähigkeiten des Schulmanagements wachsen können, und sie unterstützen durch Fortbildung und gesicherte Rahmenbedingungen.

4. Eigenverantwortung und Qualitätssicherung sind zwei Seiten einer Medaille. Chancengleichheit verlangt einheitliche Standards. Freiheit impliziert auch Forderung. Und Forderung assoziiert Leistung und Erfolg ebenso wie Hilfe und Sanktion. Wer Verantwortung trägt, muss sich messen lassen. Es muss einen verbindlichen Qualitätsrahmen mit klaren Zielvorgaben für jede Schule geben. Wie Schulen diese Ziele erreichen, sollen sie selbst entscheiden. So sichern wir guten Unterricht für alle Kinder in allen Schulen, unabhängig davon, wo das Kind in Berlin zur Schule geht. Die zentralen Abschlüsse und Vergleichsarbeiten sind wertvolle Instrumente, um Qualität von Unterricht zu überprüfen. Ich bin sicher, dass jede Lehrkraft ein Interesse daran hat, eine messbare Rückmeldung über die Wirksamkeit des eigenen Unterrichts zu bekommen, um die Ergebnisse mit anderen vergleichen zu können.

Mit Ranking hat ein solcher Vergleich nur am Rande zu tun. Denn es geht hier nicht um Marketingstrategien von Schulen, sondern um verantwortlich zu nutzende Instrumente in der Hand von Lehrkräften, um ihre Arbeit lernend vom guten Beispiel anderer Kollegen oder Schulen zu verbessern. Dieser Geist muss in den Schulen weiter wachsen. Das kann nur dann gelingen, wenn er bei uns allen wächst. Die Jagd nach der vermeintlich „besten Schule“ nutzt niemandem – schon gar nicht den Schülern, um die es uns eigentlich geht. Die Fähigkeit, den Erfolg eigener Anstrengungen laufend zu hinterfragen, verlange ich übrigens nicht nur von den Schulen, sondern auch von der Schulaufsicht und selbstverständlich auch von mir. Wir können nicht bei der Frage stehenbleiben, wie man gute Schule gestaltet, sondern müssen ebenso fragen, wie man eine effiziente Verwaltung strukturiert.

Deshalb brauchen wir auch ein Qualitätsmanagement der staatlichen Schulaufsicht und -verwaltung. Schulaufsicht muss sich stärker als Dienstleister begreifen, weniger im Detail regeln und die Schulen beraten, ohne sie in ihrer Eigenverantwortung zu beschneiden. Eine Projektgruppe wird dazu in Kürze konkrete Vorschläge vorlegen. Ich verspreche, das umzusetzen, was voranbringt, und dabei keine Schwierigkeiten zu scheuen.

5. Die Schulstruktur löst allein kein Problem, darf aber Problemlösung nicht verhindern. Kernziel meiner Bildungspolitik ist es, Chancengleichheit und Gerechtigkeit zu erhöhen, indem wir die Abhängigkeit des Bildungserfolgs vom sozialen Hintergrund der Kinder verringern und zugleich die Stärken aller Kinder und Jugendlichen bestmöglich fördern. Für ein gerechtes, auf individuelle Lernförderung setzendes, leistungsfähiges Bildungssystem sind die von mir genannten Punkte entscheidend.

Auch wenn die Schulstruktur in diesem Gesamtkomplex das Unwichtigste ist: Trotzdem ein kleiner Schlussakkord, denn ich meine, er wird an dieser Stelle von mir erwartet. Entscheidend für den Erfolg einer veränderten Schulstruktur ist nicht die Struktur an sich, sondern ob es uns gelingt, den Paradigmenwechsel in den Schulen hin zu einer optimalen Förderung jedes einzelnen Kindes zu verwirklichen.

Eine andere Schulstruktur schafft allein noch keinen besseren Unterricht. Dennoch halte ich die Debatte für richtig, wenn sie nicht notwendige pädagogische Reformen zur inneren Schulentwicklung ausblendet, sich ideologischer Kurzatmigkeit entzieht und einen möglichst breiten gesellschaftlichen Konsens sucht. Dann haben wir endlich die Chance, Grabenkämpfe von Befürwortern und Gegnern von gegliedertem und nicht gegliedertem Schulsystem hinter uns zu lassen. Ich sehe diese Chance deutlich.

Es geht um die optimale Förderung jedes einzelnen Kindes in seiner Unterschiedlichkeit. Keiner bestreitet, dass dabei Chancengleichheit durch einen möglichst langen gemeinsamen Weg erreicht wird, wie auch keiner bestreiten kann, dass ein optimaler Erfolg dazu führt, das der theoretisch Begabte am Ende seiner Förderung durchaus in anderen Gruppen gefördert werden kann und muss als der praktisch Veranlagte.

Auf dieser Basis müsste sich doch ein gemeinsames Grundraster finden lassen, insbesondere wenn man die Übergänge und Durchlässigkeit nach eigenen Prioritätensetzungen ermöglicht. Dass man für eine optimale individuelle Förderung Zeit benötigt, scheint mir im Übrigen zwingend zu sein.

Nach diesen Grundsätzen sollten wir die konkrete Diskussion in Berlin um die Zukunft der Hauptschule und die Weiterentwicklung des Schulsystems führen. Das gemeinsame Lernen in der sechsjährigen Grundschule und die Gemeinschaftsschule sind gute Ansätze, um Lernen und Lehren in heterogenen Gruppen zu fördern und flexible Formen der Differenzierung und Individualisierung anzuwenden. Erfolgreich werden die Gemeinschaftsschulen dann sein, wenn es ihnen gelingt, ein neues Verständnis von Lernen mit Blick auf die Gesamtentwicklung des einzelnen Kindes zu verwirklichen.

Seit Pisa reformieren alle Länder ihre Bildungssysteme. Wenn sich in allen Politikfeldern so viel getan hätte wie in der Bildungspolitik, stünden wir in Deutschland deutlich besser da. Die Berliner Schule hat schon einen weiten Weg zu mehr Qualität geschafft. Es wäre falsch, täglich einen neuen Kurs zu suchen. Bildungsreformen brauchen immer Kontinuität, und das Schulsystem braucht Zeit, um Veränderungen etablieren zu können.

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