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Meinung: Mein linker Wolf

Biermann lässt sich auch in die Traditionslinie der PDS einreihen Von André Brie

Ehrungen hat Wolf Biermann zahlreich erhalten. Die Ehre, auf das Heftigste und von allen Seiten umstritten zu sein, gehörte immer dazu. Dass der Streit fast immer auch niedrigste, jämmerlich kleinkarierte Seiten hat, wird er durchaus ebenfalls als Ehre empfunden haben. Seinen Gedanken „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“ hat er in einem Maße gelebt, dass seine Möglichkeiten, sich zu wandeln, inzwischen nahezu erschöpft sind, ihn seine Wandlungen vielleicht selbst erschöpft haben.

Ich muss der Eindeutigkeit halber sagen, dass ich seine Haltung zu den Irakkriegen für falsch und gefährlich halte, auch für seine aufrichtige Absicht, Israel zu sichern. Doch die Berliner Ehrenbürgerwürde hat wohl kaum je ein Mensch dafür bekommen, allen gefällig zu sein. Ich weiß mich in mancher Differenz zu Biermann und in viel größerer zu anderen Ehrenberlinern. Aber was für ein Kriterium wäre das, schon gar gegenüber Biermann, der sich im Laufe seines Lebens fast jedem quergelegt hat?

Er hat seine zarten und seine aggressiven Seiten und Saiten. Wer seine Gedichte und Lieder mal wieder oder endlich liest und hört, wird ihn gern oder zähneknirschend zu den großen deutschen Poeten der Gegenwart zählen müssen. Wer um Biermanns Leben weiß und um die politische Rolle, die er gesucht hat und die ihm aufgezwungen wurde, wird um ihn gerade in der politischen Stadt Berlin nicht herumkommen.

Seine Ausbürgerung 1976 war nicht die einzige politische Zäsur in der DDR-Geschichte, aber jene, die das Ende der DDR erkennbar werden ließ. Die SED-Führung brach nicht nur ein antifaschistisches Axiom ihrer Verfassung, das Ausbürgerungsverbot, sie überschrie ihre laute Propaganda der Stärke mit der Botschaft: Wir vertragen nicht einmal das freie Wort und sind erbärmlich schwach gegenüber der Kritik von links. Nicht mehr die Emanzipation im System, sondern von ihm wurde für viele Künstler, Intellektuelle und Oppositionelle zum erkannten Erfordernis. Ich selbst verstand damals nur das Erste, nicht die Konsequenz. Biermann war kein bewusstloses Opfer, er war ein verletzter, aber klar denkender Akteur, der zuerst und mit blutenden Händen die eigenen Mauern einriss. Lange vor jenen Ehrenbürgern Berlins, die für den Fall der Mauer gefeiert werden, und anders als sie mit dem ganzen Einsatz seiner Person. Nein, man muss ihn nicht mögen. Aber ihn und seinen zentralen Platz in der kulturellen und politischen Stadt Berlin nicht anzuerkennen – dafür fehlt mir das Verständnis.

Warum also das Hickhack bei SPD und Wowereit? Wissen sie nicht, dass sie dem politischen Lernprozess ihres Koalitionspartners längst vertrauen können? Oder verstehen sie so wenig von der politischen Dynamik, dass sie glaubten, die sicherlich beabsichtigte Instrumentalisierung der Diskussion durch die Opposition reiche für eine durchzuhaltende Ablehnung? Und meine Partei? Ihre Berliner Köpfe sind weit und souverän genug, auch einen so scharfen Kritiker wie Biermann auszuhalten und wertzuschätzen. Seine entschieden linke Kritik der siebziger und achtziger Jahre an der DDR und am Parteikommunismus ist im Grunde in den erklärten Bruch der PDS mit der SED eingegangen. Anders ist linke Politik im 21. Jahrhundert gar nicht mehr denkbar. Aber sie sind wohl damit ausgelastet, ihre praktische Politik im so schwierigen Berlin gegenüber den Anhängern der reinen Lehre (Leere wäre zutreffender) zu verteidigen.

Sich der eigenen, der neu gewonnenen Werte und Programmatik zu versichern, für sie in der ganzen Basis aktiv und souverän zu kämpfen, ihre Missachtung gegenüber Biermann, gegenüber den Opfern des Stalinismus, auch in Kuba nicht hinzunehmen, wird ganz offensichtlich als sekundär angesehen. Doch dann wird Geschichte Gegenwart und fällt einem so auf die Füße, dass man sich nur noch schwer voranbewegen kann.

Der Autor ist Mitglied der PDS-Gruppe innerhalb der Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken im Europaparlament.

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