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Meinung: Mein Staat ist die Partei

Der Fall Kanther offenbart eine Deformation des politischen Denkens

Bei der Eröffnung des CDU-Spendenprozesses in Wiesbaden hat sich Manfred Kanther entschieden gegen den Vorwurf gewehrt, den die Staatsanwaltschaft zum Angelpunkt ihrer Anklage gemacht hat. Er heißt „Untreue zu Lasten der Partei“. Und so wie dem einstigen starken Mann der hessischen Union die Stichhaltigkeit dieses Vorwurfs nicht in den Kopf will, so mag es auch dem Beobachter gehen: Wo soll die Untreue sein, da doch Kanther bei seinen heimlichen Finanzoperationen nur das Wohl seiner Partei im Sinne hatte? Hat er nicht das Parteivermögen vermehrt? Nichts veruntreut, schon gar nicht – „keinen Pfennig“ – zum eigenen Nutzen? Müsste der Tatbestand, den die Anklage zum Zweck der Anklage präpariert hat, nicht eher Übertreue zu seiner Partei heißen?

Da liegt tatsächlich das Problem, mit dem dieser Prozess zu tun hat, und das Kanthers Haltung, die von ihm beanspruchte „anständige politische Motivation“ und sein gutes Gewissen, zum Skandal macht. Kanther hat sich, so argumentiert er, um die Vorschriften des Parteiengesetzes herumgedrückt, um Schaden von der CDU abzuwenden. Eine Debatte über die Spenden hätte der Partei geschadet. Und die sei damals, Anfang der 80er Jahre, unentbehrlich gewesen, um den „linkswütigen Zeitgeist“ zu stoppen. Aber was heißt das anderes, als dass der Zweck die Mittel heiligt? Dass man sich an Gesetze nicht zu halten braucht, wenn man nur ehrenwerte Motive hat?

Das Bestürzende an der hessischen Spendenaffäre sind nicht allein die finanziellen Manipulationen, obwohl die ärgerlich genug sind. Einem ehemaligen Innenminister sollte klar sein, dass Gesetze auch dann einzuhalten sind, wenn sie nicht – wie das Parteiengesetz – strafbewehrt sind. So viel Anstand, um einen Kanther’schen Lieblingsbegriff zu nutzen, vor dem Gesetzgeber muss sein. Nach Ausweis seiner Erklärung vor dem Wiesbadener Gericht ist es forsche Selbstverständlichkeit, mit der Kanther seine Partei und ihr Wohl zum Maßstab seines Handelns und Urteilens macht. Da dringt nicht nur seine bekannte Selbstherrlichkeit durch, nach der ein Kanther nichts falsch machen kann; er hat sie in seinen Ämtern mit hinlänglicher Penetranz vorgeführt. Da offenbart sich ein demokratisch-staatspolitischer Defekt.

Unfreiwillig, ja, mit voller Überzeugung führt Kanther vor, dass die Deformationen des Parteienstaates die Deformation des Parteimannes nach sich ziehen, der ohne Anflug eines Zweifels seine Partei vor den Staat, sprich: die Rechtsordnung setzt. Von dieser, ihm offenbar tief eingewachsenen Haltung aus wird gerechnet, was gut und was böse ist. Was gut ist für die CDU – und seien es fragwürdige Finanztransfers –, kann nicht falsch sein. Verstöße gegen das Parteiengesetz werden zu „formalen Verstößen“, zu lässlichen Sünden also allemal zu rechtfertigen mit dem Kampf gegen den Konkurrenten, erst recht, in Kanthers Sicht, die linke Gefahr. So machen es alle? Ja, es ist richtig, dass die Parteien öffentliche Ämter oft wie ihre Sache behandeln. Aber es ist schon noch etwas anderes, wenn Politiker nur noch von ihrer Partei aus denken können, wenn das immerhin ehrenwerte „right or wrong: my country“ sich verengt zu dem eisernen Grundsatz: „right or wrong: my party“, so dass alles andere nur noch unter diesem Vorzeichen wahrgenommen wird. Und es ist ein fatales Zeichen für die Parteipolitisierung der politischen Welt, wenn ein einstiger Verfassungsminister, der Repräsentant einer sich bürgerlich begreifenden Partei, offenbart, davon nicht nur angekränkelt, sondern beherrscht zu sein.

Der Umgang der hessischen CDU mit Parteispenden hat, man erinnert sich, die Politik in Misskredit gebracht. Ob man Kanther nun Untreue zu Lasten der CDU juristisch nachweisen kann, steht dahin. Gut vorstellbar, dass das Verfahren ausgeht wie das Hornberger Schießen. Was Kanther vorzuhalten wäre, wiegt vermutlich schwerer: Es ist die Untreue gegenüber dem Geist und den Usancen der politischen Ordnung dieser Republik.

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