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MEIN Blick: Multikulti – und der mündige Mensch

Warum sich die Geister scheiden am Betreuungsgeld

Es dürfte nicht häufig vorkommen, dass 150 Euro die Geister so gründlich scheiden. Doch das Betreuungsgeld hat ausgelöst, was in unserer Konsensdemokratie selten geworden ist, den grundsätzlichen Konflikt.

Zwei Menschenbilder prallen hier aufeinander. Da sind auf der einen Seite Horst Seehofer und seine CSU, seit kurzem auch die Kanzlerin und mancher Christdemokrat, die noch immer glauben, dass – jedenfalls im Grundsatz – die Eltern am besten wissen, was ihren Kindern frommt und folglich auch mit dem ihnen für ihre Kinder anvertrauten Geld am besten umgehen können. Auf der anderen Seite stehen die vielen, angefangen bei der Linken – mit Ausnahme von Lafontaines Ehefrau Christa Müller – über Sozialdemokraten, Grüne, Freie Demokraten und die ehemalige CDU-Familienministerin, die der familiären Kompetenz nicht mehr trauen und am liebsten einen möglichst frühen Krippen- und Kindergartenbesuch für alle verpflichtend machen möchten. Was die einen als Ausnahme einräumen, ist für die anderen, so zum Beispiel den Neuköllner SPD-Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky die Regel: die familiäre Inkompetenz nicht nur der Migrantenfamilien.

Nun könnte man das Ganze auf sich beruhen lassen und mit Gutscheinen den Konflikt verkleistern, wenn hier nicht Grundsätzliches im Spiel wäre. Denn viele Regelungen unserer Rechtsordnung beruhen auf der Tatsache, dass der Grundgesetzgeber einst die Familie in den Mittelpunkt seiner Kompetenzzuweisungen gerückt hat – daher das Ehegattensplitting oder die freie Schulwahl durch die Eltern. Fällt aber erst einmal ein Baustein, weil die Eltern es ja doch nicht richtig können, gibt es auch für die anderen keine Rechtfertigung und kein Halten mehr.

Und warum, so muss man fragen, sollte diese Neueinschätzung der Kompetenzen erwachsener Menschen beim Elternrecht halt- machen? Wieso sind Eltern, die schon ihre Kinder nicht versorgen und erziehen können, wahlberechtigt? Ist die Gefahr für das große Ganze weniger ausgeprägt als für die eigenen Kinder? Die Bundeskanzlerin scheint diese Weiterungen rechtzeitig bemerkt zu haben. Schließlich setzen die Vorhaben der Koalition in den Bereichen Gesundheit und Pflege auf Selbstverantwortung und Eigeninitiative.

Dass ausgerechnet die FDP, die den mündigen Bürger ideologisch wie ein Mantra vor sich herträgt, ihm in einer Grundsatzfrage nicht traut, wirft ein trübes Licht auf ihre sonstigen politischen Absichten. Denn wenn man schon für seine Kinder nicht sorgen kann oder will, dann macht es auch keinen Sinn, in anderen Zusammenhängen an ihn zu appellieren.

Es steht bei dem Streit also weit mehr auf dem Spiel als die korrekte Verwendung von 150 Euro. Es geht um das unserer Ordnung zugrunde liegende Menschenbild vom mündigen Bürger. Entweder hat es seine Gültigkeit bewahrt oder es ist in einer multikulturellen Gesellschaft vom Aussterben bedroht. Selbstverantwortung je nach Kassenlage kann auf Dauer allerdings nicht funktionieren.

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