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MEIN Blick: Raus aus den Schützengräben

Missbrauch ist nicht ideologisch, ist nicht links oder rechts - sondern kriminell

Am Ende hat es alle erwischt. Ginge es dabei nicht um menschliche Verletzungen und kriminelle Handlungen, müsste man dafür sogar dankbar sein. Wieder einmal ist das Leben anders als es die Ideologen gern hätten. Zu Beginn traf es die katholische Kirche und alle, die dieser Institution gern am Zeug flicken, hatten es schon immer gewusst. Der Zölibat war schuld, überholte Machtstrukturen und die ganze Sex- und Leibfeindlichkeit eines mittelalterlichen Ritus. Die Kirche saß auf der Anklagebank und die liberale Bundesjustizministerin auf dem hohen Ross. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger pflegte die antikirchlichen Vorurteile der Aufklärer aus drei Jahrhunderten.

Doch dann kam die Sache mit dem Strip-Poker in der Odenwaldschule. Und die Ikonen eines aufgeklärten Pädagogentums entpuppten sich als genauso anfällig für sexuelle Verfehlungen wie vermeintlich verklemmte Priester. Es ist ein Waterloo für all die vielen Kästchen-Ideologen, die den Feind immer in einer Richtung vermuten, dort, wo sie selbst nicht sind. Ob Hartmut von Hentig oder der Bruder des Papstes – Verfehlungen sind immer die Verfehlungen Einzelner und nicht die von Institutionen. Was Psychologen und Kriminologen schon zu Beginn der Debatte hörbar zu machen suchten, dass der Missbrauch in allen Lebenszusammenhängen und besonders ausgeprägt in Familien und Sportvereinen auftritt, wird nun endlich gehört. Denn die scheinbaren Siege über den ideologischen Gegner sind schal geworden. Weder die katholische Kirche noch eine allzu freie Reformpädagogik haben ein Monopol auf den Missbrauch und auch nicht auf Vertuschung und Verdrängung. Menschen sind fehlbar und Menschen werden kriminell.

Dagegen helfen manchmal aufklärende Prävention und – leider oft zu spät – die gerichtliche Verfolgung und Strafe. Nicht hilfreich sind dagegen eine Kultur des Verdachtes und ideologische Scheuklappen, die aus jahrhundertealten Kämpfen resultieren und geradezu reflexartig ausgefahren werden, wenn die alten Schützengräben wieder benutzbar erscheinen: hier der antiklerikale gegen Konfessionsschulen wetternde Nationalliberalismus, dort die repressionsfreie ganzheitliche Reformpädagogik des frühen 20. Jahrhunderts.

Doch Kirche wie Pädagogik sind nur so gut und eben manchmal auch so schlecht wie die Menschen, die sie vertreten. Nicht der Zölibat oder eine grenzüberschreitende pädagogische Theorie sind schuldig, sondern einzelne schwache und unvollkommene Menschen. Ideologischer Honig lässt sich daraus nicht saugen, individuelle Maßregelung und Bestrafung allemal. Schon deshalb sollte man die Aufarbeitung auch besser der Justiz als palavernden runden Tischen überlassen. Denn nur sie hat die Mittel, das verletzte Recht wiederherzustellen.

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