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Hatice Akyün ist Autorin und freie Journalistin. Sie ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause.

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MEINE Heimat: SPD - die leidenschaftslose Partei

Die jetzige SPD versinkt in einer Sowohl-als-auch-Politik, und sie wird wie Buridans Esel zwischen zwei Hafersäcken verhungern, weil sie sich nicht entscheiden kann, in welche Richtung sie sich drehen will.

In jeder Werbebotschaft steckt ein Körnchen Wahrheit. Ich meine den Wahlkampfslogan der SPD „Das Wir entscheidet“. Ob wir wirklich entscheiden, daran habe ich allerdings meine Zweifel. Ein geklauter Slogan einer Leiharbeiterfirma für einen Leiharbeiter – das passt. Aber mal unter uns, shit happens. Gerhard Schröder warb 1998 mit dem Motto „Kraft des Neuen“, obwohl das Siemens gehört. Geschadet hat es ihm nicht. Der SPD gelang es damals, die schwarzen und weißen Tasten des Klaviers harmonisch zu bedienen.

Zyniker hätten heute einige andere Vorschläge parat. Wie wäre es mit: Nichts wie weg – SPD; Wählst du noch oder hartzt du schon; Nichts ist unmöglich – SPD; SPD – Da weiß man, was man hat; SPD – Ich bin doch nicht blöd!

Aber manchmal kann einem der Kandidat auch leidtun. Alles, was Peer Steinbrück sagt, wird zu einem Skandal hochgeschrieben. Sportunterricht war übrigens schon früher nach Geschlechtern getrennt, wegen Jungs und Mädels und nicht wegen Christen und Muslimen. Dennoch: Die Lieblosigkeit, das Uninspirierte, das Leidenschaftslose, mit dem die Genossen sich schon vorzeitig zu ergeben scheinen, macht sie spielend angreifbar.

Ach, Sozialdemokraten, wer außer euch hat die profunde 150-jährige Erfahrung zwischen Revolution und Überanpassung? Wer wäre besser geeignet, zwischen Kontrolle und willenloser Marktkonformität den schmalen Grat des Mittelweges zu gehen? Wer kann immer noch von ganz unten bis nach oben Menschen begeistern und sie zähneknirschend für sich in die Wahlkabine bringen? Habt ihr das vergessen? Was ihr in diesem Wahljahr an Leidenschaft vermittelt, ist stinklangweilig.

Da erinnert man sich gerne an einen Peter Glotz, den klugen, hintersinnigen Florettfechter, den auch nicht jeder verstand mit seinen Schwurbelsätzen. Aber man merkte, der Grips der Republik residiert mehrheitlich in der SPD. Andrea Nahles ist dagegen oft nur das Stammtischecho, das merklich zeitverzögert ohne jegliche persönliche Anteilnahme vor der Kamera herausplumpst. Glaubwürdigkeit ist momentan die kleinste Münze der SPD. Und das liegt sicher nicht an den kommunal-, länder- und bundespolitisch engagierten Genossinnen und Genossen. Die müssen schmerzhaft zusehen, wie ihre Sozialdemokratie von den bornierten Interessen der Führung verraten wird. Aber laut sagen darf es keiner.

Es sind die Anstrengenden, die Nervigen, die Unbeugsamen in dieser Partei, die zwischen den Wahlen die Menschen überzeugen und für sich einnehmen. Der Führung allerdings fehlt die Hartnäckigkeit eines Ottmar Schreiner, der das Gefühl vermittelte, für den kleinen Mann mehr Gerechtigkeit erreichen zu wollen. Das machte ihn zu einem Gesicht, einem Charakter der Sozialdemokratie. Die jetzige SPD versinkt in einer Sowohl-als-auch-Politik, und sie wird wie Buridans Esel zwischen zwei Hafersäcken verhungern, weil sie sich nicht entscheiden kann, in welche Richtung sie sich drehen will. Und genau deshalb wäre der perfekte SPD-Werbeslogan zur Zeit auch: Wir machen den Weg frei – für Angela Merkels dritte Amtszeit. Oder wie mein Vater sagen würde: „Agziyla kus tutsa yine inanmazlar“ – und wenn er einen Vogel mit den Mund finge, würde man ihm nicht glauben.

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